Richard Zeiske hat Gärtner gelernt, doch dann lockte den 19-Jährigen das Geld. Er ging unter Tage. 34 Jahre war er Bergmann. Er hat es nie bereut, auch wenn die Arbeit Opfer forderte.

Ahaus

, 25.10.2018, 17:05 Uhr / Lesedauer: 3 min

Der Steiger begrüßt Richard Zeiske an seinem ersten Tag auf Brassert in Marl mit den Worten „Sie sehen aus wie das blühende Leben. Mal sehen, wie es in einem Jahr ist.“ Der Ahauser kann sich noch gut erinnern an seine Anfänge auf Brassert 1955. „Es war eine sehr anstrengende Arbeit“, sagt er. Aber nach einem Jahr war er immer noch da.

34 Jahre hat Richard Zeiske im Bergbau gearbeitet. Zuerst in der Zeche Brassert in Marl, ab den 1960er-Jahren dann auf Prosper 3 und Prosper Haniel in Bottrop. Er hat seine Gesundheit eingebüßt, bei einem Unfall einen Finger unter Tage gelassen. „Der Ton war rau, aber herzlich“, sagt Richard Zeiske. „Jeder hat jedem geholfen.“ Da sind viele gute Erinnerungen. Sie werden wach, als der gebürtige Vredener in seiner Wohnung in Ahaus viele Erinnerungsstücke an diese Zeit zeigt.

Manche sieht man sofort, wenn man zur Tür hereinkommt wie die Meter-Latte, mit der die Kohlenmenge abgemessen wurde. Andere stecken in Schubladen und Schachteln. Richard Zeiske zieht seinen Hauerschein hervor. 1961 hat er die Prüfung gemacht. Bis dahin hat er sich langsam hochgearbeitet. Erst als Schlepper, dann als Gedingeschlepper – „da konnte man dann im Akkord arbeiten“. Der Hauer, dann schon in Bottrop, war der nächste Schritt. Aber nicht der letzte.

Schlaue Pferde und niedrige Flözen

Der 82-Jährige kann viel erzählen. Von den Flözen, die manchmal nur 90 Zentimeter hoch waren. Von steiler Lagerung, 80 Meter hoch. Von der harten Arbeit mit dem Presslufthammer. Von Ratten, die sich aufs Butterbrot stürzten, wenn man kurz nicht hinsah. Von den Bussen, mit denen die vielen Bergleute aus Ahaus oder Vreden jeden Tag nach Marl fuhren – und immer auch einen Kasten Bier an Bord hatten. Oder von den 17 Pferden, die auf Brassert die Kohle unter Tage bis zum Hauptschacht zogen.

„Sie haben immer vier Wagen gezogen. Wenn dann der fünfte dran kommen sollte, haben die Pferde das beim kleinsten Geräusch gemerkt. Die waren schlau. Sie sind dann einfach stehen geblieben.“ Er erinnert sich gut, wie eng die Strecken waren, manchmal nur 1,50 Meter breit. „Wenn man an dem Wagen vorbeiwollte, musste man den Pferden einen Stock in die Rippe stoßen. Dann fielen sie zur Seite und man kam vorbei.“ 1959 ist es für Richard Zeiske wie für viele anderen Bergleute aus dem Münsterland vorbei auf Brassert. Zeiske geht nach Bottrop, wo die Arbeitsbedingungen schon besser sind.

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Erinnerungsstücke von Richard Zeiske

Richard Zeiske hat viele Erinnerungsstücke aus seinen 34 Jahren im Bergbau aufbewahrt.

Privat zieht er mit seiner Frau von Vreden nach Ahaus. „Sie hatte Heimweh“, erinnert er sich. Beruflich macht er einen weiteren Schritt und wird Sprengbeauftragter. Anfangs auf Prosper 3 war das Sprengstofflager noch unter Tage. Auf Prosper Haniel dann lagerte der Sprengstoff in einem Bunker. Fotos zeigen ihn und seine Kollegen entspannt. „Erst wenn wir angefordert wurden, ging es unter Tage“, erzählt er. „Wenn man Glück hatte, war man nach zwei, drei Stunden wieder über Tage.“

So ganz ohne Anstrengung geht es dann aber doch nicht. Zeiske und seine Kollegen müssen den 25 Kilo schweren Blechkasten mit dem Sprengstoff mitschleppen und das oft ganz schön weit.

Vater und Sohn kommunizieren über Zettel

Viele Bohrlöcher werden bestückt, so erzählt es Zeiske, so zeigen es auch die Leitsprengbilder, die Richard Zeiske bis heute aufgehoben hat. Er muss zwar nicht mehr Kohle abbauen und hat als Sprengbeauftragter auch Helfer. Gesund ist die Arbeit trotzdem nicht. „Wir haben viel mit Staubmasken gearbeitet. Wir mussten schnell unterwegs sein, schnell arbeiten. Das hat das Herz kaputtgemacht.“

Es gibt mehr zu erzählen. Von den Wechselschichten zum Beispiel, wegen denen der Ahauser seine Tochter, seinen Sohn immer wieder eine Woche lang nicht gesehen hat. „Wir haben uns Zettel geschrieben“, erzählt Sohn Andre Zeiske, der kurz im Elternhaus bei seinem Vater vorbeischaut. Gut erinnert er sich, dass er den Vater gerne vom Bus abgeholt hat, wenn er nachmittags nach Hause kam. Weil der dann Mittagessen bekam und der kleine Andre gleich noch mal mitessen durfte.

Andere Dinge, die Richard Zeiske behält, zeugen davon, dass ihm gedankt wurde. Auf einem RAG-Helm stehen die Namen der Kollegen, ein Arschleder hat jemand zum Abschied kunstvoll mit Bergbaumotiven bemalt, aus einem Selbstretter, der für eine gewisse Zeit unter Tage Sauerstoff spenden kann, wurde eine Spardose. Teller und Ehrenurkunde gab es von der Industrie-Gewerkschaft Bergbau und Energie.

Wer den Bus verpasste, bekam weniger Weihnachtsgeld

Mehr als 60 Jahre ist der Ahauser Mitglied. Was war der Grund sich zu organisieren? Richard Zeiske erzählt: „In den 50er-Jahren, wenn Du da nur zehn Minuten verschlafen hast, hast Du den Bus nicht mehr bekommen.

Dann wurden schnell Urlaubstage abgezogen oder es gab kein Weihnachtsgeld. Das hat mich geärgert. Die Gewerkschaft hat Nägel mit Köpfen gemacht.“ Schnell hat er sich als Jugendsprecher eingesetzt, später war er viele Jahre Vorsitzender der IGBE-Ortsgruppe. „Ich hatte immer die Einstellung: Ich kenne meine Pflichten und ich kenne auch meine Rechte.Leicht vergilbt liegt noch ein schlichter Zettel auf dem Tisch. Er markiert Zeiskes persönliches Ende vom Bergbau. Mit Schreibmaschine geschrieben bescheinigt die Bergbau AG Niederrhein: „Herr Richard Zeiske kehrt bei uns am 20.4.89 ab.“

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