Mit dem Grubenpferd allein auf der Wettersohle

© montan.dok/Deutsches Bergbau-Mus

Mit dem Grubenpferd allein auf der Wettersohle

rnAbschied vom Bergbau

Zwei Jahre war Gerhard Abbing Ende der 1950er-Jahre unter Tage. Mit tierischen Kumpeln auf vier Hufen hat er in der Zeche Brassert gearbeitet. Ein gut bezahlter Job für einen 17-Jährigen.

Ottenstein

, 27.09.2018, 17:05 Uhr / Lesedauer: 4 min

Eigentlich wäre Gerhard Abbing ja gerne Autoschlosser geworden. Eigentlich. Aber damals, 1956 gab es in seinem Geburtsort Wüllen und in Ottenstein keine Autowerkstatt. Und in Ahaus hat er keinen Platz bekommen. In Weseke hätte es geklappt. Aber mit dem Zug wäre er jeden Tag eine halbe Stunde zu spät zur Arbeit gekommen. Und der letzte Zug ging eine halbe Stunde vor Feierabend. „Da hat der Meister dann gesagt, dass ich mir das abschminken kann“, erzählt er. Über Mundpropaganda hörte er von den Bussen, die zum Bergbau ins Ruhrgebiet fuhren. „Da bin ich dann einfach mitgefahren“, sagt er. Denn auf Brassert in Marl haben sie immer nach Leuten gesucht.

Als die dann erfuhren, dass Gerhard Abbing von einem kleinen Hof kommt und gut mit Tieren umgehen kann, hatte er seine Position: als Schlepper mit den Grubenpferden. Tiere, die ihr ganzes Leben im Bergwerk zubrachten und dort die tonnenschweren Kohle oder Steinloren zogen. „Druckluft- oder Diesellokomotiven gab es auf meiner Sohle nicht“, sagt er. Die Sohle – also praktisch die Etage im Bergwerk, auf der er arbeitete – lag etwas oberhalb der Ebenen, wo die Kohle abgebaut wurde. „Die Wettersohle“, sagt der ehemalige Bergmann.

Gerhard Abbing (78) hat zwei Jahre auf der Zeche Brassert gearbeitet.

Gerhard Abbing (78) hat zwei Jahre auf der Zeche Brassert gearbeitet. © Teine

Mitleid hatte er mit Tieren nicht. „Das war halt einfach so“, sagt er achselzuckend. Dennoch habe er immer versucht, die Tiere so gut wie möglich zu behandeln. „Das haben die natürlich gemerkt“, sagt er. Hier mal streicheln oder auf den Hals klopfen, da mal gutes Zureden oder auch mal eine Extramöhre – Abbing wusste, wie er mit den Tieren umgehen musste. In der Regel war er die ganze Schicht allein mit „seinem“ Pferd. Aber die Namen weiß er heute nicht mehr. „Ich habe mir früher nichts aufgeschrieben und auch nichts aufgehoben“, sagt er.

Sein Bergmannsbuch ist das Einzige, was ihn noch an seine Zeit unter Tage erinnert. Auch Fotos von damals hat er nicht mehr. „Heute, ja heute würde ich das anders machen“, sagt er schmunzelnd. Aber damals habe er auch andere Sachen im Kopf gehabt. Zum Beispiel das Geld: „Ein verheirateter Mann hat damals bei van Delden hier in Ahaus 240 oder 300 Mark verdient. Auf Pütt hab ich zwischen 640 und 720 Mark verdient. Als Junggeselle“, sagt er. Ohne Zweifel eine gute Bezahlung. „Aber dafür musste man sich auch was gefallen lassen.“ Die Arbeit war hart. „Du musstest ständig auf Zack sein“, sagt er.

Kein Platz für Fehler

Das Pferd vor sich und die schweren Loren hinter sich, ließen keinen Platz für Fehler. „Wenn das Pferd plötzlich stehen blieb, musste man blitzschnell reagieren.“ Die Bremse? Eine sogenannte Spitze. Nicht mehr als ein Stück Holz, das er zwischen einem Rad und der Wanne der Lore verkeilen musste. „Wenn man sich dann auf das Ende der Spitze stellte, blockierte das Rad und bremste so den Wagen“, sagt er. Schutzkleidung? Gerhard Abbing muss lachen: „Quatsch, wir hatten einen Helm, Schuhe mit Stahlkappen, Handschuhe und ’ne Badehose an.“

Besonders sind ihm auch die Steiger noch im Gedächtnis – die Aufseher im Bergwerk. „Die konnte man immer schon sehen, bevor sie um die Ecke kamen“, sagt er. Als einzige hatten die eine spezielle Lampe am Kragen eingehängt. Beim Laufen schwenkte die von links nach rechts. „Der Blitzer kommt“, haben die Bergleute sich dann zugerufen. „Da hieß es dann besonders aufpassen und noch ein bisschen härter arbeiten, um Ärger zu vermeiden“, erzählt er. Wenn der Blitzer gerade nicht kam, gönnte er sich auch mal eine Pause außer der Reihe. „So allein auf der Sohle, da musstest du dich nur an die Seite setzen, wenn du mal zehn Minuten geradeaus gucken wolltest“, sagt er. Nur erwischen-lasse durfte man sich nicht. Meistens hat das geklappt.

Das Bergmannsbuch von Gerhard Abbing ist sein einziges Andenken an die Zechenzeit.

Das Bergmannsbuch von Gerhard Abbing ist sein einziges Andenken an die Zechenzeit. © Teine

Gut erinnern kann er sich auch noch daran, wenn die Pferde neue Hufeisen brauchten: An offenes Schmiedefeuer war natürlich unter Tage nicht zu denken. „Die Eisen haben wir kaltgeschmiedet“, erzählt er: Über Tage hatte der Hufschmied Abdrücke aller Hufe der Grubenpferde. Die Eisen wurden da schon grob angepasst. Unter Tage wurde dann der Rest erledigt.

Das Eisen auf den Schienenkopf und dann „gib ihm“. Mit einem schweren Fäustel wurde so lange auf das Eisen eingeschlagen, bis es passte. „Eine Mordsarbeit“, sagt Gerhard Abbing heute. Die Eisen haben am Ende trotzdem gepasst. „Sonst hätten die Pferde ja gar keine Leistung bringen können.“ Doch oft hielten die Eisen nur kurz. „Wenn die Hufe dann am Schienenstrang hängen blieben, war das Hufeisen schon wieder Geschichte“, erzählt er.

Keine Angst vor Unfällen

Angst vor Unfällen habe er nie gehabt. Er habe sich stets sicher gefühlt. „Wenn du kein Vertrauen in die Technik hast, kannst du so einen Beruf nicht machen“, stellt er klar. Dann erzählt er von armdicken Stahlkabeln, an denen die Förderkörbe hingen. Und von schweren Türen, die die Stollen in einzelne Bereiche unterteilen, um mögliche Explosionen einzudämmen. Und von primitivem Brandschutz, der auch immer funktioniert hat. Unfälle habe es sicherlich gegeben, „die wurden aber nicht breit getreten.“ Davon habe er nie etwas gehört. „Ich war aber auch ein junger Kerl und habe da wirklich nicht darüber nachgedacht.“ Er kam rundum unbeschadet aus seiner Zeit als Bergmann.

Freizeit? So etwas gab es damals nicht oft. „Ich hatte eine Fünf-Tage-Woche“, erzählt der 78-Jährige. Komfortabel für damalige Verhältnisse. Unter der Woche stieg er morgens um fünf in Wüllen in den Bus. Um vier war er wieder da. „Unterwegs hatten wir natürlich schon mal die Jalousien zugemacht“, sagt er lächelnd. Wirklich erholsam war der Schlaf im ruckelnden Bus dann aber nicht. Zuhause angekommen, ging es mit der ganzen Gruppe aus dem Bus zu Temme: „In der Gaststätte Zum Goldenen Stern haben wir alle drei Bier getrunken, dann ging‘s mit dem Fahrrad nach Hause.“ Und da wartete dann immer noch Arbeit. „Wir hatten ja noch Landwirtschaft“, so Gerhard Abbing.

Kurze Bergbaukarriere

Seine Bergbaukarriere dauerte knapp zwei Jahre. Der 15. Februar 1959 steht als letzte Schicht in seinem Bergmannsbuch. „Da wurde ich gekündigt“, sagt er. Die Situation hatte sich gedreht: Statt händeringend neuer Arbeitskräfte suchten die Kohlebergwerke nach Platz, um die großen Kohlehalden aufzuschütten. „Das sah aus, als wäre man im Sauerland, nur dass die Berge schwarz und nicht grün waren“, sagt Gerhard Abbing und seine lachenden Augen funkeln mit der Goldrandbrille um die Wette.

Sein Abschied von der Kohle ist also schon fast 60 Jahre her. Es folgten Arbeit auf dem Bau, zwei Jahre Bundeswehr, Anstellungen als Fernfahrer und bei Hülsta, seine Hochzeit, der Hausbau in Ottenstein, fünf Kinder, fünf Enkel und Urenkel. „Wenn ich gedurft hätte, ich wäre weiter eingefahren“, sagt er heute.

Lesen Sie jetzt