Am Ende stand vor allem Erleichterung. Darüber, dass zwei jungen Menschen ein belastender persönlicher Auftritt vor Gericht erspart wurde. In die Erleichterung mischte sich aber auch ein Gefühl der Machtlosigkeit. „Es ist schwierig, hier ein ‚richtiges‘ Urteil zu finden. Vor allem eins, das den Interessen der Opfer entspricht“, sagte der Richter dann auch in der Begründung seiner Entscheidung.
Ein Jahr und acht Monate Freiheitsstrafe für einen heute 55 Jahre alten Ahauser wegen sexuellen Missbrauchs an zwei Kindern in sechs Fällen – ausgesetzt zur Bewährung. Zu diesem Ergebnis kam das Schöffengericht in Ahaus nach einer knapp vierstündigen Verhandlung, die noch deutlich länger hätte dauern können.
Verfahren teilweise eingestellt
Dass es nicht so kam, lag an einem Teilgeständnis des Angeklagten, das sein Verteidiger nach einem längeren Verständigungsgespräch zwischen den Prozessbeteiligten verlas. 20 Fälle des sexuellen Missbrauchs an Kindern hatten in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gestanden, an sechs erinnerte sich der 55-Jährige schließlich und gab diese zu. Für die restlichen Fälle wurde das Verfahren eingestellt.
Es ging um Taten aus den Jahren 2015 bis 2017, als der alleinstehende Ahauser zusammen mit seiner Mutter, seiner Nichte sowie deren beiden minderjährigen Kindern (einem Sohn im Grundschulalter sowie einer etwas älteren Tochter) im gleichen Haus wohnte. Bei mehreren Gelegenheiten rief er die Geschwister jeweils einzeln in seine Zweizimmerwohnung, die er abschloss, den Schlüssel aber von innen stecken ließ.
„Nur an Reize gedacht“
Dort führte er, bekleidet mit einem Damenrock, vor allem sexuelle Handlungen an sich selbst aus. So nutzte er unter anderem einen an einem Stuhl befestigten Teddybären, um sich selbst zu befriedigen.
Den Jungen lockte er mit einem Spielzeug zu sich unter den Rock. Auch zwang er den Jungen zu Berührungen. Zum Orgasmus sei es dabei aber nie gekommen.
Weitere Einzelheiten zum Ablauf der Taten erfuhr das Gericht lediglich aus den nach dem Geständnis noch auszugsweise verlesenen Protokollen der polizeilichen Vernehmung der beiden Opfer. Der Angeklagte selbst, der gerade zu Beginn der Verhandlung sehr unruhig wirkte, sprach lediglich darüber, was ihn zu seinen Handlungen bewegt hatte.
„Ich hatte damals Probleme, habe sie teilweise heute noch. Ich hatte Stress durch Stimmen, die auf mich einquatschten. Ich konnte mich einfach nicht selbst befriedigen“, erklärte er.
„Ich habe nur daran gedacht, wie ich für ein paar Sekunden Reize und Befriedigung bekommen kann, niemals an etwas Kriminelles.“ Die Kinder habe er dazu genommen, „weil sie Menschen sind“. Seit sie ausgezogen seien, habe er nie wieder Gedanken dieser Art gehabt.
Angeklagter voll schuldfähig
Beim Gedanken an seine Handlungen schäme er sich. „Es ist mir peinlich vor mir selbst“, so seine Worte. Aufgrund dieser Scham habe die Tür immer geschlossen bleiben müssen, damit niemand ihn so sehen konnte. Passend dazu die polizeiliche Aussage der Großnichte: Der Angeklagte habe seine Handlungen immer unterbrochen und so getan, als wäre nichts, wenn sie ihn direkt angeschaut habe.
Eine zentrale Rolle kam vor Gericht schließlich dem Bericht des psychologischen Sachverständigen zu, der den Angeklagten auf Grundlage seiner medizinischen Biografie und eines längeren Gesprächs als voll schuldfähig einstufte.
Zwar leide der Angeklagte sehr wahrscheinlich an einer Schizophrenie-Spektrumsstörung mit Halluzinationen und erfülle zudem für den Tatzeitraum die Kriterien einer pädophilen Störung. „Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte für eine beeinträchtigte Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit“, so der Gutachter. Der 55-Jährige sei sich der Unrechtmäßigkeit seiner Handlungen bewusst und habe zudem gesteuert und strukturiert gehandelt.
Geständnis wirkt sich positiv aus
Ins Gefängnis muss der Ahauser jedoch vorerst nicht. In seinem Plädoyer sprach sich sein Verteidiger unter anderem mit der Begründung für eine milde Bestrafung aus, „dass es noch viel schwerwiegendere Taten gibt. Ich weiß, dass das leicht misszuverstehen ist. Aber tatsächlich befinden wir uns hier noch im unteren Bereich.“ Eine Aussage, die die als Zuschauerin anwesende Mutter der beiden Opfer mit einem entgeisterten Blick quittierte.
Der Richter entschied sich dann jedoch auch dazu, unter den von der Staatsanwältin beantragten zwei Jahren auf Bewährung zu bleiben. Auch, weil er sich beim Strafrahmen an die geltenden Regelungen zum Tatzeitpunkt halten musste. „Wenn das heute passiert, wird das tatsächlich deutlich schärfer sanktioniert“, erklärte er.
Dennoch hielt er dem Angeklagten dessen Geständnis zugute. Die Opfer mussten dadurch vor Gericht nicht mehr als Zeugen aussagen. Er gehe außerdem davon aus, dass der Tatzeitraum „ein abgrenzbarer Teil der Biografie“ des Angeklagten sei.