Die Forderung der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) gegen den Ahauser Corona-Teststellenbetreiber Frank Beckert und dessen Frau Elke Wessel sorgt für Kopfschütteln.
In Wessum und Schöppingen hatte das Paar während der Pandemie zwei Teststellen betrieben. Die KVWL fordert eine Millionensumme für offenbar falsch dokumentierte Tests zurück: Rund 1,53 Millionen Euro Vergütung für Tests sollen die Betreiber zurückzahlen. Weitere 103.225 Euro für die Monate Juni bis August 2022 will die KVWL nicht zahlen. Die Betreiber hatten vor dem Verwaltungsgericht gegen den Bescheid geklagt, ihre Klage wurde aber abgewiesen.

Unerwartete Rückendeckung bekommen sie von Dr. Paul Lévi. Der Internist und Facharzt für Allgemeinmedizin betreibt seit fast 33 Jahren seine Hausarztpraxis in Ahaus. „Nach so langer Tätigkeit als Vertragsarzt kenne ich das leidige Prüfwesen der KVWL viel zu gut“, erklärt er. Wie viele Kolleginnen und Kollegen sei er gewohnt, dass er regelmäßig zur Kasse gebeten werde. „Weil wir Patientinnen oder Patienten geholfen haben. Wir werden gefilzt und geprüft.“ Etwa weil er ein Medikament weiter verschrieben habe, was nicht exakt so in einem Entlassungsbrief aus stationärer Behandlung vermerkt war. Oder weil es minimale Fehler in einer Abrechnung gebe.
„Dass jetzt sogar Teststellen-Betreiber betroffen sind, ist für mich aber ein Novum“, schimpft er. In seinen Augen müsse es schnellere Rückmeldesysteme geben, um Fehler früher aufzudecken. Denn: „Es werden grundsätzlich die Zeiträume geprüft, für die Einnahmen bereits versteuert sind“, sagt er. Bei Fehlern müssten entsprechende Beträge dann aber komplett zurückgezahlt werden. „Es ist höchste Zeit, an den Prüfmethoden der KVWL etwas zu ändern“, donnert er.
KVWL beharrt auf Position
Die KVWL beharrt auf ihrer Position: Demnach musste sich der Teststellenbetreiber die Durchführung der Testung von der getesteten Person schriftlich oder elektronisch bestätigen lassen. „Ganz nach der Testverordnung“, erklärt der KVWL-Pressesprecher Stefan Kuster. Nach den Vorgaben der TestV finden Prüfungen stichproben- oder anlassbezogen statt. So wie bei den beiden Teststellen von Frank Beckert. Warum seine Teststellen geprüft wurden, erklärt die KVWL nicht. Mit Missbrauch oder Betrug hatte das Verwaltungsgericht die Ahauser ausdrücklich nicht in Verbindung gebracht.
Auf Nachfrage unserer Redaktion will die KVWL weder beantworten, wie viele Abrechnungen von Corona-Teststellen-Betreibern sie aktuell ablehnt, noch in wie vielen Fällen sie Fehler bei der Dokumentationspflicht geltend macht. Ebenso lässt sie unbeantwortet, wie viele Teststellen in ihrem Geschäftsbereich während der Pandemie mit der Software Chayns betrieben wurden.
23 Leistungserbringer klagen
Allerdings räumt sie ein, dass aktuell noch 23 sogenannte Leistungserbringer – also Teststellenbetreiber – gegen die Bescheide der KVWL klagen.
Einer klaren Frage weicht die Pressestelle der KVWL aus: Unsere Redaktion wollte wissen, ob die KVWL in irgendeiner Art in Zweifel zieht, dass die infrage stehenden Tests tatsächlich stattgefunden haben. Das hatte auch vor Gericht nie zur Debatte gestanden. Die Antwort der KVWL auf unsere Frage: „Der Nachweis der tatsächlichen Testdurchführung und korrekten Abrechnung erfolgt durch das Vorlegen der nach der TestV erforderlichen Dokumente.“
Weder vor Gericht noch auf Nachfrage unserer Redaktion konkretisiert die Kassenärztliche Vereinigung, wie die Testkunden den Test hätten quittieren sollen. „Nach der Testverordnung kann die getestete Person oder ihre gesetzliche Vertretung die Durchführung des Tests schriftlich oder elektronisch bestätigen“, heißt es lediglich. Vorgaben, wie genau die elektronische Bestätigung auszusehen habe, gebe es nicht. „Jedoch muss sichergestellt werden, dass die getestete Person oder ihre gesetzliche Vertretung die Testung nach der Durchführung aktiv bestätigt.“
War der KVWL klar, dass die zigmillionenfache Abwicklung der Coronatests über die Software Chayns für die Dokumentation nicht ausreiche? Hat sie das Unternehmen also darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Dokumentation nicht ihren Ansprüchen genügt? Auch da antwortet die KVWL-Pressestelle ausweichend: Die Einhaltung der Dokumentationspflicht liegt im Verantwortungsbereich des Leistungserbringers nach TestV – also des Teststellenbetreibers. Wie er das macht, blieb demjenigen überlassen.
Verpflichtung zur Prüfung
Die KVWL hält dabei grundsätzlich fest, dass sie seit Juli 2022 verpflichtet sei, die Abrechnungen von Teststellen umfangreich zu prüfen. Das erfolge durch Stichproben oder bei Teststellen, die in irgendeiner Form auffällig geworden seien. Etwa durch stark abweichende Abrechnungsdaten. Oftmals erfolge eine Prüfung auch nach Eingang eines Hinweises von Ermittlungsbehörden oder Gesundheitsämtern auf Unregelmäßigkeiten.
Vergütungen für abgerechnete Leistungen, die gemäß Aktenlage unbelegt oder implausibel sind, fordert die KVWL im Rahmen eines Rückforderungsbescheids von den Teststellen zurück. Mit wachsendem zeitlichen Abstand zur Erbringung der Leistungen wird dies aber nicht leichter. In immer mehr Fällen erweist es sich als schwierig, die damals verantwortlichen Teststellenbetreiber in die Verantwortung zu nehmen, da viele Firmen inzwischen aufgelöst oder Personen unbekannt verzogen sind. In diesen Fällen versucht die KVWL alles, um die Forderungen doch noch durchzusetzen.