Zwischen Wüllen und Argentré Marie-Anne Lemée, die Pionierin des Au-Pair-Austauschs

Von Theresa Pierick
Marie-Anne Lemée, die Pionierin des Au-Pair-Austauschs: Zwischen Wüllen und Frankreich
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Als das kleine Dorf Wüllen noch von landwirtschaftlicher Idylle geprägt war, fand eine junge Frau namens Marie-Anne Lemée aus der französischen Bretagne ihren Weg dorthin. Völlig unbedarft, mit dem bescheidenen Wunsch, Deutsch zu lernen, legte sie doch den Grundstein für das Au-Pair-Kulturaustauschprogramm zwischen Wüllen und Argentré du Plessis, ihrer Heimatstadt, wie sie dem Gast aus der Redaktion bei ihrem aktuellen Besuch in Wüllen erzählt.

Besondere Beziehung

Marie-Anne Lemée hatte bereits in der Schule Deutsch gelernt. Als sie ihr Abitur in der Tasche hatte, sehnte sie sich nach einer Reise nach Deutschland. „Ich hatte nur eine deutsche Adresse und das war die von Herrn Bußmann, dem ehemaligen Bürgermeister von Wüllen. Die Adresse habe ich von unserem Pfarrer bekommen, und so schrieb ich einfach einen Brief“, erzählt sie.

„Och, wir haben doch Platz“, sagte Leopold Bußmann, und so fing alles an. Dies geschah im Jahr 1972. Einer Zeit, in der Begriff Au-Pair in beiden Orten noch weitgehend unbekannt war.

Eine ländliche Idylle

Wüllen, ein Dorf, wo sich jeder kennt, nahm Marie-Anne Lemée rasch auf. „Ich habe mich schnell aufgehoben gefühlt“, sagt sie. Gegenüber dem Wohnhaus der Bußmanns befand sich noch ein Bauernhof, Jacky's Pizzeria war noch ein Schnellimbiss und ein Pferdehof war ganz in der Nähe. Diese dörfliche Atmosphäre half bei der schnellen Integration, das kannte sie von zu Hause.

Dass Marie-Anne Lemée durchaus offen für die deutsche Kultur ist, stellt sie heute noch unter Beweis. Wie aus der Pistole geschossen und komplett frei von Fehlern kann sie auch heute noch das Wüllener Volkslied „So lange op de Höste“ singen und ist auch heute noch stolz auf ihre Teilnahme am Wüllener Karneval.

Ann-Marie Lemée während eines Karnevalsumzugs in Wüllen in den 70er-Jahren
Ann-Marie Lemée (vorne rechts) während eines Karnevalsumzugs in Wüllen in den 70er-Jahren © Theresa Pierick

Der Einfluss von Marie-Anne Lemée in Wüllen ging über ihre Besuche und das Au-Pair-Programm hinaus. Sie gab Hausaufgabenhilfe und half beim Aufbau der familiären Partnerschaft zwischen den beiden Ortschaften. Über die Jahre entwickelte sich der Kulturaustausch weiter – sogar über Oberbetten. „In Frankreich hatten wir keine richtigen Oberbetten. So brachten die Wüllener beim nächsten Treffen welche als Gastgeschenke mit“, erzählt sie.

Da es an Dolmetschern mangelte, fanden die Einwohner beider Ortschaften kreative Wege, die Sprachbarriere zu überwinden. „Bei großen Treffen lagen immer Papiertischdecken aus, auf denen man schreiben und zeichnen konnte“, erzählte Bernd Bußmann. So konnten wohl auch diejenigen kommunizieren, die nicht beider Sprachen mächtig waren.

Gemeinsame Entwicklung

Heute wird Marie-Anne Lemée noch immer in der Nachbarschaft erkannt und trifft sich regelmäßig mit den Bußmanns und anderen Freunden aus Wüllen - genau wie Mitte August beim jüngsten Besuch. Bernd Bußman lernte sogar seine Frau durch den Austausch kennen und machte Marie-Anne offiziell zum Familienmitglied, als er ihr die Patenschaft eines seiner Kinder anvertraute.

Familie Bußmann, links und Marie-Ann Lemée, während eines ihrer vielen späteren Treffen in Wüllen
Familie Bußmann, links und Marie-Ann Lemée, während eines ihrer vielen späteren Treffen in Wüllen © Theresa Pierick

Marie-Anne Lemée bemerkte über die Zeit, dass sich beide Ortschaften ähnlich entwickelt haben. „Es gibt keine Geschäfte mehr in Wüllen. Das ist in meiner Heimat genauso“, sagt sie. Auch die Gentrifizierung und neue Zuzüge, die sich nicht oder anders integrieren würden, hätten viel verändert, erzählt sie. Doch der Geist der Gemeinschaft und des Austausches lebt weiter.

Für Wüllen und seine Bewohner ist Marie-Anne Lemée mehr als nur ein Teil ihrer Geschichte; sie ist ein Symbol für die Kraft der Gemeinschaft und des interkulturellen Austauschs. Ein Beweis dafür, dass große Veränderungen oft mit kleinen Schritten anfangen.