„Mein Akku ist kaputt“ Wie zwei junge Menschen in Alstätte und Wessum mit Long Covid leben

„Mein Akku ist kaputt“: Wie zwei junge Menschen mit Long Covid leben
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Fünf Jahre ist der Beginn der Corona-Pandemie her. Am 16. März 2020 verkündete die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel den bevorstehenden ersten völligen Lockdown. Heute spricht kaum noch jemand über das Coronavirus. Auch eine Infektion hat längst ihren Schrecken verloren. Eine heftige Grippe. Damit ist es für die meisten erledigt. Doch dann gibt es die, die auf der Infektion hängen geblieben sind. Inzwischen gibt es wenigstens eine Diagnose: Chronisches Fatigue Syndrom (CFS). Long Covid.

Lukas Münstermann ist 27. Mit seiner Freundin lebt er in einer Wohnung mitten in Alstätte. Eigentlich arbeitet der gebürtige Heeker im Ahauser Krankenhaus. Doch seit Juli 2024 geht nichts mehr. Seitdem ist er arbeitsunfähig. Monatelang hatte er sich zuvor durchgeschleppt.

Im Februar 2022 fing er sich eine Corona-Infektion ein. „Das übliche“, sagt er zu den damaligen Symptomen: Husten, Kurzatmigkeit, Schwäche. Nach fünf oder sechs Wochen sei das damals wieder besser geworden. „Über den Sommer ging es“, sagt er. Doch dann wurde es rapide schlimmer. Schwindel, Konzentrationsprobleme, ständige Abgeschlagenheit, völlige Erschöpfung. Dazu ein Zustand, den Betroffene „Brain Fog“ (deutsch: Gehirnnebel) nennen. Von jetzt auf gleich fühle sich der ganze Kopf wie im Nebel, wie bei extremer Müdigkeit kurz vor dem Einschlafen an.

Seinen aktuellen Tagesablauf schildert er schulterzuckend: Morgens macht er eine Runde mit dem Hund, dann muss er sich erst einmal wieder für ein oder zwei Stunden hinlegen. Dann kann er etwas Hausarbeit machen und muss sich schon wieder hinlegen. Nachts hat er dafür Schlafstörungen: „Der Körper ist völlig fertig, aber der Kopf macht noch Party.“ Er beschreibe es immer so, als sei sein Akku kaputt. „Oder als wenn man mir einfach den Stecker zieht“, erklärt er. Früher habe er leidenschaftlich gern Sport gemacht. Daran sei im Moment nicht zu denken.

Auch andere Hobbys hat er erst einmal an den Nagel gehängt oder plant sie minutiös. „Wenn ich für zwei Stunden zu meinem Stammtisch nach Heek möchte, bereite ich mich darauf mehrere Tage vor, gestalte sie ruhiger, gönne mir Ruhe“, erklärt er. Dennoch seien die Tage nach so einem Abend umso schlimmer. Bis zu einer Woche brauche er, um die Erschöpfung wieder aufzuholen. Alkohol trinke er praktisch gar nicht mehr. „Das würde alles nur noch schlimmer machen“, sagt er. Einen Tag beim Schützenfest in Heek habe er etwas getrunken. Die Folgen habe er noch Tage später gespürt.

„Meine Freundin hat sich in der ganz schlimmen Zeit viel gekümmert“, sagt er. Alleine hätte er das nicht stemmen können. „Dann hätte ich wieder zu meinen Eltern ziehen müssen“, erklärt er.

Noch gibt es keine Therapie

Auch in seinem Stammtisch hat er mit offenen Karten gespielt: „Die wissen alle Bescheid, stärken mir den Rücken und unterstützen mich“, sagt er.

Das Problem: Gerade zu Beginn habe ja niemand gewusst, was er hat. Seine Probleme seien auf die Psyche geschoben worden. Auch seine Beziehung litt. Dann kam doch noch die Diagnose. Spätfolgen der Corona-Infektion. Chronisches Fatigue-Syndrom. Chronische Erschöpfung. Kein psychosomatisches, sondern ein organisches Problem. Eine verlässliche Therapie gibt es noch nicht.

Aber zumindest Klarheit. Seitdem geht es für ihn ganz langsam und sehr mühsam bergauf. Seit gut fünf Monaten ist er über Whatsapp mit einer Selbsthilfegruppe in Ahaus verknüpft. Schon das sei eine immense Hilfe: „Weil man sich dort nicht immer wieder erklären muss“, sagt er. Weil er sieht, dass es anderen auch so geht. In ein paar Wochen möchte er ganz langsam mit einer Wiedereingliederung starten. Die wird sich über Monate ziehen. „Weil ich keinen Rückfall erleiden will“, sagt er. Ausschließen kann er den aber auch nicht.

Kimberley Bertelmann sitzt in ihrem Sessel in ihrem Wohnzimmer in Wessum.
Kimberley Bertelmann (30), Mutter von zwei Kindern, hat erst seit ein paar Wochen die Diagnose "Long Covid, Chronisches Fatigue Syndrom". Nach einer Corona-Infektion leidet sie bis heute unter Müdigkeit und Erschöpfung. Einen Ausweg gibt es noch nicht. Trotzdem will die Wessumerin nicht so einfach aufgeben. © Stephan Rape

Ein paar Kilometer weiter sitzt Kimberley Bertelmann in ihrem Haus in Wessum. Die Mutter von zwei Kindern erzählt eine ganz ähnliche Geschichte: 2022 hatte sie einmal Corona. „Das war wie ein Schnüpfchen“, erzählt sie. Im Herbst 2023 bekam sie es noch einmal. „Da habe ich zwei Wochen völlig flach gelegen – und mich nie wieder davon erholt“, erklärt sie. Die tatsächliche Diagnose ist bei ihr erst ein paar Wochen alt. „Bis dahin wurde das auf die Psyche geschoben“, sagt sie. „Burn-Out, Depression, irgend so ein Stempel.“

Ständig sei sie müde und kraftlos gewesen. „Im Februar 2024 war ich mit meiner Familie in Enschede einkaufen“, erzählt sie. Da sei es plötzlich nicht mehr weitergegangen. Beim Laufen seien ihr die Augen zugefallen. „Ich habe mich in einem Einkaufszentrum auf eine Couch gesetzt und musste die Augen schließen“, sagt sie.

Dreimal pro Woche arbeiten

Aktuell könne sie noch drei Mal die Woche arbeiten. Ihren Kindern und der Arbeit ordnet sie alles andere unter. Nach ein paar Stunden setzt bei ihr der Nebel im Kopf ein. „Ich werde unkonzentriert, meine Sprache verwäscht“, sagt sie. Auch das knapp 45-minütige Gespräch mit unserer Redaktion ist für sie sichtbar anstrengend. Ein paar Mal verliert sie mitten im Satz den Faden.

Regelmäßig müsse sie auch zu Hause alles stehen und liegen lassen: „Ich kann mich dann nur noch hinlegen“, erklärt sie. Der schlimmste Moment sei gewesen, als ihre Tochter vor einiger Zeit fragte: „Mama, bist du so müde, weil wir so anstrengend sind?“ Da habe sie schon schwer schlucken müssen. „Aber wie sollen die Kinder das auch verstehen?“, fragt sie. Ihr selbst falle das ja schwer.

„Richtig versteht es nur mein Mann, weil der mich jeden Tag sieht“, erklärt sie und muss lachen. Auch sie erzählt davon, dass sie sich ihre Kraft penibel einteilen muss. Eigentlich alles, was sonst abends an Treffen mit Freunden geschehe, hat sie gestrichen. Ein paar Feste im Jahr, wie Geburtstage von Freunden oder Familienfeste, will sie sich nicht nehmen lassen. „Danach bin ich dann aber auch eine Woche lang fertig“, erklärt sie. Ein paar Mal habe sie versucht, Sport zu machen. Vor der Erkrankung ihre große Leidenschaft. „Das fühlt sich dann aber an, als ob sich jemand mit ganzem Gewicht auf meinen Körper setzt“, macht sie deutlich.

Beiden geht es vor allem um eins: um Aufmerksamkeit für ihre Krankheit. Um Anerkennung. Und um Hilfe: Dass mehr geforscht wird. Dass mehr an einer möglichen Therapie gearbeitet wird. Dass Krankenkassen ohne großes Hin und Her die Krankheit akzeptieren. „Laut einiger Studien soll eine Blutwäsche helfen. Aber eine einzige Behandlung kostet 1600 Euro. Und die muss mehrfach wiederholt werden“, erzählt Kimberley Bertelmann. Das könne sie sich einfach nicht leisten.

Symptome lindern

Es gebe aktuell ein paar Wege, um die Symptome zu lindern. Und auch soll es mit der Zeit besser werden. „Aber die Krankheit bleibt“, sagt sie. Damit kann sie inzwischen leben. Auch das habe sie am Anfang viel Kraft gekostet.

Lukas Münstermann sagt, dass er sich mit seinem aktuellen Gesundheitszustand arrangiert hat. „Ich muss mich an den kleinen Dingen erfreuen“, sagt er. Er will sich auch von Rückschlägen nicht bremsen lassen. Sein Ziel: Dieses oder nächstes Jahr möchte er mit seinem Stammtisch in den Urlaub fahren. Ein paar Tage. Ganz normal. Fast wie bei Kimberley Bertelmann: Sie setzt auf einen Ausflug zum Oktoberfest nach München. 2026 hat sie den mit Freunden ganz fest ins Auge gefasst.

Beide sagen klar, dass sie es noch relativ gut haben. „Es gibt auch genug Menschen, die plötzlich im Rollstuhl sitzen, weil sie gar nicht mehr können“, sagt Lukas Münstermann. Das Gespräch geht zu Ende. Seine Kraft auch. Er dreht jetzt noch eine Runde mit dem Hund. Dann muss er sich hinlegen.

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Selbsthilfe für Betroffene

In Ahaus hat sich eine Selbsthilfegruppe für Betroffene von Long Covid gebildet. Sie hat inzwischen rund 30 Mitglieder. Bundesweit gehen Schätzungen davon aus, dass bis zu zehn Prozent aller Menschen, die eine Corona-Infektion hatten, mehr oder weniger stark an Long Covid leiden. Ansprechpartner für die Gruppe in Ahaus ist Joachim Pradel, Tel. 0175/8793858.

Dieser Artikel erschien ursprünglich am 17. März 2025.