Schlägereien, Belästigung, Beleidigung, Nachstellung, Bedrohung, Erpressung mit Filmmaterial, Erniedrigungen, Sachbeschädigung, Ruhestörung, Hausfriedensbruch, Verstöße gegen diverse Haus- und Schulordnungen, vielleicht sogar ein Einbruch oder Drogenhandel – die Liste der Straftaten, die eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen in und um Ahaus begangen haben soll oder aktuell noch begeht, ist fast unüberschaubar lang. „Ein Ritt quer durch das Strafgesetzbuch“, nennt es Dietmar Brüning von der Pressestelle der Polizei im Kreis Borken.
Die Täter? Eine Gruppe von 25 bis 30 Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter zwischen 9 (!) und 23 Jahren. Das sind zumindest die, von denen Polizei und Stadtverwaltung wissen. Das Dunkelfeld dürfte aber noch erheblich größer sein.

Die Mutter eines Schülers aus Legden hatte sich an unsere Redaktion gewandt. Ihr Sohn sei immer wieder massiv bedroht worden. Sogar ein Messer hätten ihm Mitglieder dieser Gruppe an die Kehle gehalten. Die Gruppe würden Schülerinnen und Schüler auf dem Pausenhof bedrohen. Ihren Namen will sie natürlich nicht in der Öffentlichkeit nennen. Angestoßen durch unsere Recherchen, beziehen Behörden dazu erstmals öffentlich Stellung.
Gesprächstermin mit dem städtischen Beigeordneten Werner Leuker und Marina Bänke, Fachbereichsleiterin Jugend bei der Stadt Ahaus. Beide atmen erst einmal laut hörbar durch. Dann bestätigen sie die Schilderungen weitgehend. Vieles sei aber auch noch im Unklaren. Wie groß die Gruppe genau ist? Wer dazu gehört? Wer für welche Taten verantwortlich gemacht werden kann? Alles offene Fragen.
Ermittlung gegen Kinder und Jugendliche
Auch die Polizei spricht aktuell nur von einer ganzen Reihe von Ermittlungsverfahren gegen Kinder und Jugendliche. „Die Ermittlungen laufen“, bestätigt Dietmar Brüning lediglich.
„Im Sommer und Herbst 2023 hat es erste Hinweise gegeben, dass irgendetwas nicht stimmt“, sagt Werner Leuker. Hinweise, dass da etwas vorgehe, was über normale Streitigkeiten hinausgeht oder Grenzen üblicher Konflikte unter Jugendlichen sprenge. „Da hatten wir aber noch keine Hinweise darauf, dass einzelne Taten in einem Zusammenhang stehen“, fügt er hinzu.
Bis aus diesen Puzzlesteinen ein erstes Bild entstand, dauerte es eine ganze Zeit.
Seit Februar dieses Jahres verdichten sich die Hinweise, dass die genannte Gruppe für eine Vielzahl dieser Taten verantwortlich sein soll. Eine gemischte Gruppe. Bestehend aus Intensivtätern einerseits, aber offenbar auch aus einer Reihe von Mitläufern. Dabei seien laut Werner Leuker alle weiterführenden Schulen betroffen – wenn auch in unterschiedlich starker Ausprägung. Selbst von außerhalb der Ahauser Stadtgrenzen gebe es erste Hinweise.
Weitere Orte, an denen sich die Kinder und Jugendlichen versammeln würden, seien der Schlossgarten, der Marienplatz, das Bahnhofsumfeld, das Gelände rund um den Spieker im Schulzenbusch oder die Unterführung unter dem Adenauerring. Mögliche Tatorte liegen aber auch außerhalb dieser Orte.
Massive Gewalt
Gleichzeitig liege der Verdacht nahe, dass die älteren Mitglieder sich im Hintergrund halten und jüngere, nicht-strafmündige Kinder für die Verübung der Taten vorgeschickt werden. Ebenfalls scheint festzustehen, dass praktisch die gesamte Gruppe Migrationshintergrund hat. Sie bezeichnen sich selbst als „Die Kanaken“.
Zumindest der ältere Teil der Gruppe tue das. Die jüngeren Mitglieder würden als „Die Minions“ bezeichnet. Angelehnt an Figuren aus einem Animationsfilm, die darin die Helfer eines Superschurken darstellen. Was auf den ersten Blick noch niedlich anmuten mag, verliert beim Blick auf die Schwere der mutmaßlichen Taten schnell jeden Witz.
Aus der Gruppe sollen einzelne Kinder und Jugendliche andere Schüler aber auch Erwachsene drangsaliert und misshandelt haben. Die Rede ist von massiver Körperverletzung, Faustschlägen ins Gesicht oder Tritten auf am Boden liegende. Diese Taten wurden gefilmt, um mit den Aufnahmen wiederum andere Opfer zu erpressen.
Gekleidet seien die Kinder und Jugendlichen zumeist komplett in Schwarz, zum Teil auch in sogenannten Bomberjacken. Ausdrücklich würden sie Ghettoslang benutzen.
Die polizeilichen Ermittlungen stehen dabei nicht allein. „Wir haben alle möglichen Stellen aktiviert“, erklärt Werner Leuker. Das Jugendamt, das Ordnungsamt, das Jugendwerk, die Schulleitungen und die Schulsozialarbeit, die Jugendgerichtshilfe – sie alle sollen mit daran arbeiten, die Gruppe aufzulösen.
Bei einigen sei es wohl noch möglich, über den Kontakt zu den Eltern etwas zu bewegen. Bei anderen sei es wohl nicht mehr über eine reine Beratung getan. Einige seien wohl auch schon in Projekten der Polizei. Eine rein-räumliche Trennung löse auch die kriminelle Energie nicht auf. Schul- oder Platzverweise hätten bisher an vielen Stellen nur wenig Wirkung gezeigt.
Dabei gehe es darum, dass sich die Gruppe ständig beobachtet fühlen soll. Auch deswegen wählt die Verwaltung inzwischen zumindest einen teilweisen Gang an die Öffentlichkeit.
„Das hat ganz einfach eine völlig neue Qualität“, betont Werner Leuker. Eine Entwicklung, mit der Ahaus aber auch nicht alleine dastehe. Die jetzt in und um Ahaus aber neu sei.
Die Ermittlungen laufen. Unklar ist auch noch, wieviele Betroffene oder Opfer es gibt. Auch die Gesamtzahl der Taten ist noch nicht klar.
Kontaktnummer für Betroffene
Betroffene können sich anonym und vertrauensvoll telefonisch an den Fachbereich Jugend der Stadt Ahaus wenden: Tel. 02561 / 72 388.