Carina Schütten und Sabrina Reimann haben vor acht Jahre den Dorfgasthof Wissing übernommen. Letztere erlernte ihr Handwerk in einer Zwei-Sterne-Küche und sorgt nun in Alstätte für Furore.
Knapp zehn Jahre dürfte es her sein, dass ich das letzte Mal beim Dorfgasthof Wissing gegessen habe. Es war ein heißer Sommertag, die Radtour führte uns nach Enschede über die Grenze zurück nach Alstätte. Mitten im Dorfkern fand der Männertross unter einem Sonnenschirm Platz und genoss zu kühlem Pils deftige Schnitzel. In dem Augenblick hätte es wahrscheinlich keine bessere Mahlzeit für uns geben können.
Einige Jahre später erfahre ich von einem guten Freund aus Alstätte, dass der Dorfgasthof Wissing einen Generationenwechsel erlebt habe. Er schwärmt von einem mehrgängigen, ausgefallenen Menü, das er mit seiner Freundin anlässlich ihres Geburtstags im Alstätter Restaurant genossen habe. Ich traute meinen Ohren nicht, hatte ich doch den Dorfgasthof – im besten Sinne – mit klassischer „Schnitzel-Küche“ verbunden. Fleischlastig, große Portionen.
Weil der Westfale (zu oft) nur dem vertraut, was er kennt, verstrichen die Jahre ohne einen weiteren Besuch. Bis zum vergangenen Sonntagabend.
Freundlicher Empfang durch aufmerksamen Service
Meine Begleitung und ich betreten den Dorfgasthof Wissing durch den Vordereingang. Der erste Eindruck: Seit meinem letzten Besuch hat sich der Kneipenbereich samt Thresen wenig verändert. Doch die junge Kellnerin erklärt uns nach der freundlichen Begrüßung, dass der Speisesaal vom Thekenbereich separiert sei.

Die Tische, egal ob rund oder eckig, sind liebevoll eingedeckt und dekoriert. © Markus Gehring
Als habe sich ein Schalter umgelegt, ändert sich mit dem Betreten des Speisesaals die gesamte Atmosphäre. Schirmlampen spenden warmes Licht, die massiven Tische sind mit viel Liebe zum Detail dekoriert und eingedeckt. Echte Kerzen und Rosen, weiße Tischdecken, Stoffservietten, hochwertige Weingläser und schweres Besteck. Alles erinnert ein wenig an ein New Yorker Szene-Restaurants der 60er-Jahre – nur ohne den lästigen Rauch. Auch deshalb, weil am Tisch neben uns eine deutsch-niederländische Gruppe, nicht nur mit schrillen Outfits, für gute Stimmung sorgt.
Keine Weinkarte, dafür dekantierter Shiraz
Kaum haben meine Begleitung und ich an unserem Zweiertisch Platz genommen, bringt uns die Kellnerin die Speisekarten. Sofort fällt auf: kleine Auswahl, exquisites Angebot. Drei Vorspeisen, sechs Hauptgerichte, drei Desserts. Das war´s. Für meine Begleitung und mich kein Problem, denn als Gast wird man dadurch zu ein wenig Experimentierfreudigkeit gezwungen. Kleine Überraschung: Schnitzel in verschiedenen Variationen stehen auch weiterhin auf der Karte.
Nachdem wir uns für Vor- und Hauptspeise entschieden haben, suchen wir nach einem passenden Wein. Auf Nachfrage erklärt uns die Kellnerin, dass es zwar keine separate Weinkarte gebe, sie uns aber zu unseren Speisen einen trockenen Shiraz empfehlen könne. Dass dieser bereits dekantiert wurde, zeigt die neue Zeitrechnung im Dorfgasthof Wissing seit dem Generationenwechsel.

Eine separate Weinkarte gibt es bei Wissing nicht, jedoch gibt es auf Empfehlung des Servicepersonals exquisite Weine. © Markus Gehring
Positive Randnotiz: Statt uns gleich eine ganze Flasche verkaufen zu wollen, bietet die Kellnerin zunächst einen Viertelliter in einer Karaffe an. Vor allem dann praktisch, wenn wie in unserem Fall, später noch einer ans Steuer muss.
Die Vorspeisen
Der Vorteil einer kleinen Karte: Lange braucht man nicht, um sich zu entscheiden. Meine Begleitung wählt die Süßkartoffel-Kürbiscreme-Suppe mit einer geräucherten Lachsrose (6,90 Euro). Mich hat sofort das gefüllte Rindercarpaccio (16,50 Euro) angesprochen.
Während wir auf die Vorspeisen warten, wird uns als Gruß aus der Küche selbstgebackener Bauernstuten mit Kräuterbutter und gewürztem Olivenöl gereicht. Vor allem die Kräuterbutter weiß zu überzeugen, da der dezente Knoblauchgeschmack nicht die anderen Kräuter im Geschmack überlagert. Kritik auf hohem Niveau: die gekühlte Butter lässt sich nur schwer streichen.

Als Gruß aus der Küche wird selbstgebackener Bauernstuten mit gewürztem Olivenöl und hausgemachter Kräuterbutter serviert. © Johannes Schmittmann
Die beiden Vorspeisen werden zeitgleich gereicht. Die junge Kellnerin erklärt, dass meine Begleitung ein kleines Upgrade erhalten habe. Statt einer geräucherten Lachsrose schwimmt in der Suppe ein Stück gebratenes Lachsfilet mit einem Salat aus Jakobsmuscheln und Kaviar garniert. „Kleines Upgrade“ fällt an dieser Stelle unter die Kategorie westfälisches Understatement.

Die Süßkartoffel-Kürbiscreme-Suppe wurde mit einem „kleinen Upgrade“ versehen. Glasiertes Lachsfilet mit einem Salat aus Jakobsmuscheln und Kaviar veredeln die Vorspeise. © Johannes Schmittmann
Ganz ähnlich sieht es bei meiner Vorspeise aus. Denn die Beschreibung in der Speisekarte spiegelt nicht im Ansatz wider, was mir die Kellnerin serviert. Auf einer Schieferplatte wird das hauchdünn geschnittene Rinderfilet mit einer Avocado-Wasabi-Mango-Creme, Rote-Beete-Gittern, Pinienkernen, Brunnenkresse, Basilikum und einer Balsamico Vinaigrette serviert. Oben auf liegt eine Languste. Surf´n Turf nennt man das heute.

Das Highlight des Abends: Gefülltes Rindercarpaccio mit Languste, Avocado-Sesam-Mango-Creme, Brunnenkresse, Rote-Beete-Gittern und Krustentier-Schaum. © Johannes Schmittmann
Mit Superlativen soll der Mensch sparsam umgehen, doch meine Begleitung spricht nach dem ersten Gang von der „besten Suppe“, die sie je gegessen habe. Vor allem der Jakobsmuschel-Kaviar-Salat hat es ihr angetan. Und auch mir fällt es schwer, mich an eine bessere Vorspeise zu erinnern. Die vielen Komponenten harmonieren perfekt miteinander. Alles lebt von seiner Frische. Obwohl ich nicht der größte Freund von Meeresfrüchten bin, ist die Languste mit ihrem zarten Fleisch die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. So kann es weiter gehen.
Der Hauptgang
Bei der Hauptspeise halte ich mich mit Experimenten zurück. Auf Empfehlung meines Alstätter Freundes wähle ich das 200 Gramm Rumpsteak mit Pfeffersauce, Bratkartoffeln und glasiertem Gemüse (24,90 Euro). Als Garstufe gebe ich medium an und frage, ob die Pfeffersauce separat serviert werden könne. Meine Begleitung wählt den Hirschkalbsrücken mit Kartoffelmousseline, Rosenkohlblättern und einer Cassisjus (29,50 Euro). Keine Extrawünsche.
Da wir den Hauptgang schon mit der Vorspeise zusammen bestellt haben, verstreicht nur wenig Zeit zwischen den ersten beiden Gängen. Mein Steak wird erneut auf einer Schieferplatte serviert und von einer Gemüse-Straße flankiert. Die Bratkartoffeln kommen in einer separaten Schüssel, die Pfeffersauce wird wie gewünscht in einer Sauciere gereicht. Beim Hirschkalbsrücken wurde nicht am Fleisch gespart. Insgesamt drei Tranchen wurden liebevoll auf einem Bett aus Rosenkohlblättern angerichtet.

Der Hirschkalbsrücken wurde von einer Café-de-Paris-Kruste überzogen. Dazu wurden Kartoffelmousseline und glasiertes Gemüse gereicht. © Johannes Schmittmann
Schon mit dem bloßen Auge erkennt der Laie, dass hier Profis am Werk sind. Am Außenrand des Rumpsteaks sind Einkerbungen vom Küchengarn erkennbar, um einen gleichmäßigen Garpunkt quer durchs Fleisch zu bekommen. Das Ergebnis: perfekt medium. Der Geschmackssinn bestätigt den optischen Eindruck. Für das zarte Fleisch wäre die mitbestellte Pfeffersauce eine Verschwendung. Das glasierte Gemüse ist nicht nur liebevoll auf Erbsen- und Möhrenpüree angerichtet, sondern hat auch noch ordentlich Biss. Die etwas zu trocken geratenen Bratkartoffeln können hingegen nicht ganz mithalten.

Das Rumpsteak ist gleichmäßig medium gegart. Das Gemüse hat Biss und wird auf Erbsen- und Möhrenpüree gereicht. © Johannes Schmittmann
Was nicht in der Karte steht, aber laut meiner Begleiterin geschmacklich perfekt passt: Eine Café-de-Paris-Kruste überzieht den rosa gebratenen Hirschkalbsrücken. Auch sie lobt das Gemüse, sogar den eigentlich ungeliebten Rosenkohl. Die Kartoffelmousseline fällt – anders als die Bratkartoffeln – geschmacklich nicht ab. Kleiner Wermutstropfen: Ein Steakmesser zum Hirschkalbsrücken wäre hilfreich gewesen.
Die Desserts
Vieles hat sich im Dorfhasthof Wissing in den letzten acht Jahren geändert, eines aber nicht: Die Portionen sind weiterhin zum satt werden. Weil der Nebentisch uns aber von ihren Desserts vorschwärmt, bestellen wir den Cheesecake (7,50 Euro) und warmen Apfelstrudel mit Vanilleeis (5,50 Euro).
Beim Cheesecake verzichte ich auf die in der Karte angepriesene Birne und erhalte freundlicherweise eine Kugel vom hausgemachten Karamell-Vanille-Eis auf gebratenen Apfelwürfeln als Ersatz. Die zwei kleinen Stücke Cheesecake sind mit Mango und Cassis veredelt. Als besonderes Highlight entpuppen sich die beiden Stangen geeistes Cassispüree.

Als Dessert gab es zweierlei Cheesecake, eine Kugel Karamel-Vanille-Eis auf gebratenen Apfelwürfeln und geeistes Cassispüree. © Johannes Schmittmann
Die Portion beim zweiten Dessert ist riesig. Ein großes Stück Apfelstrudel wird mit zwei Kugeln Karamell-Vanille-Eis und einem Sahneberg gereicht. Geschmacklich weiß das Dessert vollauf zu überzeugen, nur etwas heißer hätte das Apfelgebäck sein können. Ein Kritikpunkt, der beim stimmigen Gesamtbild nicht wirklich ins Gewicht gefällt.

Der warme Apfelstrudel wurde mit zwei Kugeln Karamel-Vanille-Eis und Sahne gereicht. © Johannes Schmittmann
Das Fazit
Atmosphäre und Service sind im Dorfgasthof sehr gut. Doch das Alleinstellungsmerkmal ist das Essen. Qualitativ hochwertige Zutaten werden kreativ kombiniert und mit viele Liebe zum Detail angerichtet. Die Mischung aus Heimatküche und Fine Dining gelingt dem Küchenteam um Sabrina Reimann hervorragend.
Die Getränke
Eine Getränkekarte ist in der Speisekarte nicht enthalten und wird, zumindest in unserem Fall, auch nicht separat gereicht. Die kompetente Bedienung konnte auf Nachfrage jedoch einen passenden Wein empfehlen. Der trockene Shiraz korrespondierte perfekt mit dem Hirschkalbsrücken, auch zu meinem Steak passte er gut.
Vegetarisches/Veganes
Vegetarische Hauptspeisen sind in der kleinen Karte nicht zu finden. „Unsere Stammgäste wissen aber, dass wir beispielsweise immer frische Pasta oder Risotto für Vegetarier anbieten können“, sagt Sabrina Reimann. Auch auf Allergien und Unverträglichkeiten nehme das Küchenteam auf Wunsch Rücksicht.
Die Preise
Qualität hat ihren Preis. Doch meine Begleitung und ich sind uns am Ende des Abends einig, dass eine Gesamtrechnung von 120 Euro inklusive Trinkgeld für ein solches Geschmackserlebnis nicht zu viel sind. Auch der Preis für die Rindercarpaccio-Vorspeise, der mit 16,50 Euro zunächst vielleicht horrend anmutet, war gerechtfertigt. Die Hauptspeisen liegen verglichen mit anderen Restaurants in der Region im Schnitt und haben daher ein ausgezeichnetes Preis-Leistungs-Verhältnis.
Kinderfreundlichkeit
Kinder und Familien sind im Dorfgasthof Wissing ausdrücklich willkommen. Auf der letzten Seite der Speisekarte gibt es die Rubrik „Für unsere kleinen Gäste und den kleinen Hunger“. Dort werden Schweine- und Hähnchenschnitzel sowie Bratwurst und Pommes angeboten.
Barrierefreiheit
Das Restaurant ist ebenerdig, Treppenstufen gibt es nicht. Das Damen-WC ist ebenfalls barrierefrei.
Anfahrt/Parkplatzsituation
Mitten im Dorfkern gelegen, könnte die Parkplatzsituation noch besser sein. Am Sonntagabend war es jedoch kein Problem, einen Stellplatz für den Pkw zu finden.
Das sagt das Netz
Die Netz überschlägt sich mit Lob. 4,5 Sterne sind es jeweils bei Google (79 Bewertungen) und Tripadvisior (51 Bewertungen). Vor einem Monat schrieb beispielsweise User „Bow Tech“: „Wir haben gestern das Überraschungsmenü gegessen. Es hätte nicht besser sein können! Das Essen war super lecker, toll angerichtet, tolle passende Weine und ein wirklich netter, nicht aufdringlicher Service. Rundum ein toller Abend. Vielen Dank!“
Restaurant-Infos
Dorfgasthof Wissing, Kirchstraße 14, 48683 Ahaus-Alstätte, Tel. (02567) 220, Email: info@dorfgasthof-wissing.de, Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag ab 15 Uhr, Samstag und Sonntag ab 11 Uhr, warme Küche durchgehend bis 21 Uhr, Website: www.dorfgasthof-wissing.de
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1991 in Ahaus geboren, in Münster studiert, seit April 2016 bei Lensing Media. Mag es, Menschen in den Fokus zu rücken, die sonst im Verborgenen agieren.
