Zu Beginn macht er reinen Tisch: „Ich räume alles ein“ – mit diesen Worten beginnt der ehemalige evangelische Pfarrer aus dem Münsterland seine Erklärung vor dem Amtsgericht Ahaus. Ihm wird vorgeworfen, in mehreren Fällen kinderpornografisches Material besessen und Teile davon auch verbreitet zu haben.
Im Detail könne er sich nicht mehr erinnern, macht er zu den Ausführungen des Staatsanwalts deutlich: „Aber ich werde es wohl gemacht haben.“ Eine Lebenskrise soll der Auslöser dafür gewesen sein. Der Mann ist bereits vor Jahren ins Visier der Ermittler geraten, weil er mit einem Beschuldigten in einem anderen Verfahren gechattet hat. Die Beamten verfolgten damals die Spur und standen schließlich vor der Haustür des Pfarrers.
Schon an dieser Tür, so schildert es sein Verteidiger, habe er sämtliche Vorwürfe eingeräumt. Auf dem Laptop und dem Smartphone des Mannes fanden die Ermittler eine Handvoll zweifelsfrei kinderpornografischer Bilder. Die habe er nicht selbst angefertigt, sondern über Chats erhalten oder verschickt.
Den Weg dahin schildert der Angeklagte in eigenen Worten: Ein Umzug, ein Trauerfall in der Familie und der Ausbruch der Corona-Pandemie seien der Anfang gewesen. Er sei depressiv, antriebslos und schlaflos geworden. Habe unter Panikattacken gelitten. Aus der Realität habe er sich in eine Art Sucht nach Pornografie geflüchtet. „Um wieder etwas zu fühlen“, wie er erklärt.
Stundenlang habe er sich in einschlägigen Chatportalen aufgehalten. Irgendwann sei er abgestumpft, erklärt er weiter. Immer schneller, habe er immer härtere Inhalte gesucht. Sei dann schließlich bei kinderpornografischen Inhalten gelandet.
„Kein Kontakt zu mir selbst“
In Chats habe er sich mit Gleichgesinnten ausgetauscht. Deren Reaktionen seien für ihn das Hauptmotiv gewesen: „Ich brauchte jemand anderen, der für mich fühlt.“
Das habe mit seiner Arbeit zu tun gehabt: „Ich musste mich immer in andere hineinversetzen, ich hatte keinen Kontakt mehr zu mir selbst, sondern hab immer nur an andere gedacht“, erklärt er.
Heute empfinde er Reue: „Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich mich dafür schäme“, betont er immer wieder. Mehrfach unterstreicht er, dass für ihn das kinderpornografische Material nur Mittel zum Zweck gewesen sei, um wieder etwas zu fühlen.
Eine mögliche pädophile Neigung streitet er vehement ab. „Ich stehe nicht auf Kinder, da bin ich mir 100 Prozent sicher. Ich habe auch nie den Kontakt zu Kindern gesucht.“
Die Ermittlungen und der lange schwebende Prozess habe ihm die Augen geöffnet. Gleichzeitig sei die Depression stärker geworden, er habe Suizidgedanken entwickelt und sich schließlich in Behandlung begeben. Bis heute befinde er sich in Therapie, habe sich einer Selbsthilfegruppe angeschlossen.
Heute verspüre er keinen inneren Zwang mehr, allerdings wisse er nicht, wie es beruflich mit ihm weitergehen soll. Bislang habe er keine konkrete Alternative.
Ein Jahr und vier Monate Haft
Noch vor der Urteilsverkündung stellt der Richter fest, dass das Verhalten des Angeklagten im Umgang mit dem kinderpornografischen Material eher „untypisch“ gewesen sei. Auch macht er deutlich, dass es sich bei den Bildern aus den Chats um einen vergleichsweise niedrigen Schweregrad handle.
Die Bilder auf dem Laptop hingegen seien eindeutig als kinderpornografischen Inhalten zu erkennen gewesen. Teilweise hätten sie auch schweren sexuellen Missbrauch der Kinder gezeigt.
Das Gericht verurteilt den Mann zu einer Strafe von einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung. Zu den Auflagen gehört unter anderem eine Geldstrafe von 3.000 Euro.
Wird aus Pfarrdienst entfernt
Das wird nicht die letzte Konsequenz bleiben. „Er wird in jedem Fall aus dem Pfarrdienst entfernt“, sagt Wolfram Scharenberg, Pressesprecher der evangelischen Kirche von Westfalen. Das geschehe auch unabhängig von der Höhe der Strafe.
Das Pfarrdienstgesetz in seiner aktuellsten Form lässt da wenig Spielraum: „Pfarrerinnen und Pfarrer sind kraft Gesetzes entlassen, wenn sie [...] wegen einer Straftat, die nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch zu einem Ausschluss von Aufgaben in der Kinder- und Jugendhilfe führt, rechtskräftig verurteilt worden sind.“ Genau dazu zählt unter anderem der Besitz und die Verbreitung von Kinder- und Jugendpornografie.
Schon als die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bekannt wurden, sei der Mann von seinem Dienst freigestellt worden. Wolfram Scharenberg ringt mit sich und den Umständen: Auf der einen Seite ist er um maximale Transparenz bemüht. Gleichzeitig gelte es dennoch, die Anonymität des Verurteilten zu wahren. Zu weiteren Hintergründen will er deswegen auch nicht viel sagen.
Nur so viel: Ja, der Verurteilte sei im ganz normalen Pfarrdienst tätig gewesen. Ja, auch zu Kindern und Jugendlichen habe er im Rahmen seiner Tätigkeit Kontakt gehabt. Nein, von irgendwelchen Taten oder Vorwürfen konkret vor Ort seien der Gemeinde oder der Landeskirche nichts bekannt.
Wir können Ross und Reiter nicht nennen: Auch der Angeklagte hat Rechte