Der kleine Junge mit dem Lodenhut strahlt über das ganze Gesicht. Er darf auf dem Fahrersitz des Mercedes sitzen. Seine Beine stecken in einer Cordhose, die Füße reichen nur mit Mühe bis zur Sitzkante. Mit einer Hand hält er sich an dem großen Speichenlenkrad fest. Nur das Lächeln ist schon unverkennbar: „Meine erste so nahe Begegnung mit einem Auto“, sagt Clemens-August Brüggemann (71), Seniorchef der Haarmühle.
Die unregelmäßige Reihe unserer Redaktion über die ersten eigenen Autos hatte ihn selbst zum Gang ins persönliche Archiv bewegt. Und dabei kam eben auch jenes Bild aus längst vergangenen Kindheitstagen wieder zum Vorschein.
Erstes Auto an der Haarmühle
Wie alt er darauf genau ist, mag er heute nicht mehr einschätzen. Vielleicht zwei Jahre, sagt er schulterzuckend. 1953 wurde er geboren. Anfang der 1950er-Jahre sei mit einem 170er-Mercedes das erste Auto zur Haarmühle gekommen. Auch das könne er aber nicht mehr aufs Jahr genau sagen. „Auf jeden Fall war das damals ja noch etwas ganz Besonderes“, sagt er. Ein richtiges Auto, noch dazu ein Mercedes. In der ganzen Umgebung habe es sonst ja nur Fahrräder gegeben. Der alte Benz hatte dann irgendwann ausgedient.

Anfang der 1960er-Jahre hätte dann der nächste Mercedes vor der Tür gestanden. „Ein 180er D“, sagt Clemens-August Brüggemann. Der sogenannte Ponton. „Natürlich musste ich mir den erst einmal ganz genau ansehen“, sagt er und zieht unwillkürlich noch den Kopf ein. „Mein Vater hatte den Schlüssel stecken lassen“, fügt er noch hinzu. Und natürlich drehte der junge Clemens-August am Zündschlüssel, der Wagen sprang an, machte einen Satz nach vorne und donnerte mitten durch die Tennentür. Der Rest verliert sich im Nebel der vergangenen Jahrzehnte. „Sagen wir es so: Es war keine gute Stimmung im Haus“, erklärt er und fährt sich mit der Hand über den Hinterkopf.

Die automobile Freiheit begann für den Alstätter ein paar Jahre später, aber schon deutlich früher als für Gleichaltrige: Per Sondergenehmigung durfte er schon ab 15 ans Steuer – durch einen traurigen Grund: „Mein Vater Ignatz starb als ich 15 war“, sagt Clemens-August Brüggemann. Als ältestes von elf Kindern musste er rund um die Haarmühle helfen – und bekam die Sondererlaubnis, auch das Auto zu bewegen. „Eigentlich aber nur im Umkreis von 15 Kilometern“, erinnert er sich. In Höhe von Ennings Barriere wäre da für ihn Schluss gewesen. Aber natürlich sei er auch weiter gefahren. „Bis Legden bin ich aber immer ganz schön ins Schwitzen gekommen“, sagt der 71-Jährige heute lachend. Kontrolliert habe man ihn zum Glück nie.
Im Geländewagen nach Österreich
Jahre später, Clemens-August Brüggemann hält der Marke mit dem Stern immer noch die Treue, ging es für ihn und seinen Bruder im tiefsten Winter bis nach Österreich. In einem der ersten Geländewagen. 1980 sei das gewesen, in einem von Steyr aufgebauten G230. Samt Allradantrieb und Stoffverdeck auf der Ladefläche hinter den Vordersitzen. „Das war ja praktisch die Zivilversion des Bundeswehrgeländewagens“, sagt Clemens-August Brüggemann.
Den habe er damals günstig gebraucht gekauft. Auch das wieder ein Unikum: „Geländewagen gab es so ja damals gar nicht“, erinnert er sich. Jedenfalls sei er mit seinem Bruder mitten im Winter nach Lech Zürs am Arlberg gefahren. Ins Skigebiet. Und schon vor dem Arlbergtunnel habe es geschneit, als ob es kein Halten mehr geben. Bei der Ausfahrt sei dann gar nichts mehr gegangen: „Die alle mit ihren teuren Karren, die Porsches und Mercedes‘ sind alle liegen geblieben mit ihrem Heckantrieb“, sagt er lachend. Doch auch für die Brüder war bald Ende.
Keinen halben Meter weit hätten sie sehen können. Der Wind habe dann sogar noch das Stoffdach vom Auto geweht. Da sei es ihm dann zu bunt geworden: „Ich habe gesagt, Schluss jetzt. Wir nehmen uns jetzt das erstbeste Hotel. Du kannst machen, was du willst und es ist mir ganz egal, wie teuer das jetzt wird.“ Die deutlich farbenfrohere und kräftigere Wortwahl möchte er heute unter den Tisch fallen lassen.
Schneeschippen für Frühschoppen
Am Morgen sei der ganze Parkplatz tief eingeschneit gewesen. Das hätten sie aber noch nicht gewusst, als sie die Wette mit einem Hotelmitarbeiter eingingen: „Der hatte uns angeboten, dass wir den Frühschoppen umsonst bekommen, wenn wir unser Auto von dem Parkplatz herunterbekommen“, sagt Clemens-August Brüggemann. Natürlich hätten sie direkt eingeschlagen.
Nur, um dann vor dem Hotel eine einzige weiße Fläche zu finden. Nur durch das hohe Dach sei der Alstätter Mercedes aufgefallen: „Da lag der Schnee noch höher.“ Über drei Stunden hätten sie Schnee geschaufelt, bis sie den Wagen frei hatten.
Der Frühschoppen ging aufs Haus, dafür halfen die Alstätter später noch, weitere Wagen der Hotelgäste freizuschleppen. „Wir waren natürlich stolz wie Oskar“, sagt Clemens-August Brüggemann und strahlt wieder bis über beide Ohren.
Der Geländewagen ist auch längst Geschichte. „Den hab ich für mehr Geld weiterverkauft, als ich bezahlt hatte“, sagt er. Dann blättert er zufrieden lächelnd in einigen Bildern. Er könnte noch zig solcher Anekdoten erzählen.