Vier Chemotherapien, eine Vielzahl von Spritzen, viele Arztgespräche und eine Reise nach Puebla in Mexiko liegen hinter Jenny Hoves. 30 Tage, in denen es ihr teils hundeelend ging. Ein Monat, in dem sie den vierjährigen Sohn vermisst hat und immer wieder Angst um ihr Leben hatte. „Mir geht es richtig gut“, sagt Jenny Hoves knapp zwei Wochen nach ihrer Rückkehr. Durchs Telefon hört man sie lachen.
Ein persönliches Gespräch ist nicht möglich, denn für die nächsten 100 Tage heißt es: Quarantäne. Die ersten 10 davon sind geschafft. „Zwischendurch fällt mir die Decke auf den Kopf“, gesteht sie. Das kann man ihr nicht übel nehmen, immerhin war der einmonatige Klinikaufenthalt in Mexiko alles andere als Urlaub.
Stammzellentherapie als Rettung
Aber ein paar Schritte zurück: Bevor Jenny Hoves ins Flugzeug nach Mexiko gestiegen ist, lag ein qualvolles Jahr hinter ihr. Angefangen mit starken Sehstörungen, Taubheitsgefühl, Lähmungen und Schwindelanfällen im Oktober 2023, sah sich die 38-Jährige wenige Monate später vor der Diagnose Multiple Sklerose.
Nachdem Behandlungen nicht angeschlagen hatten, dann der nächste Schock: Jenny Hoves leidet außerdem unter Mogat. Beides sind Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems. Beide Medikationen schließen die der jeweils anderen Erkrankungen aus, sind kontraproduktiv. Jenny Hoves einzige Hoffnung ist eine Stammzellentherapie.
Und die will sie in Mexiko machen. 60.000 Euro braucht die Wessumerin dafür. Und tatsächlich können Spendenaktionen knapp 55.000 Euro für die 38-Jährige sammeln. Mitte Oktober geht es also für Jenny Hoves und ihre Schwester nach Mexiko.
Hoffnung in Mexiko
Zehneinhalb Stunden im Flugzeug bringen Jenny Hoves zu ihrer einzigen Hoffnung auf ein normales Leben. In 30 Tagen soll ihr gesamtes Immunsystem quasi einmal auf null gesetzt werden. Die erste Station ist Mexiko-Stadt. „Direkt bis Puebla durchzureisen, hätte ich körperlich nicht geschafft“, sagt Jenny Hoves. Denn nicht zu vergessen: Die 38-Jährige ist wegen ihrer Erkrankungen auf Gehhilfen angewiesen, teils an den Rollstuhl gefesselt.
Am nächsten Tag geht es für die Schwestern in eine Klinik in Puebla. Dort angekommen, erwarten Jenny Hoves bereits Blutentnahmen, Untersuchungen und Arztgespräche. Dann folgen die ersten beiden Chemotherapien.
„Danach habe ich etwa zehn Tage lang Spritzen bekommen, die die Stammzellenproduktion anregen.“ Währenddessen konnten die Wessumerin und ihre Schwester Mexiko wenigstens etwas erkunden. „Wir haben uns die Pyramiden angeguckt“, sagt sie und lacht.
Nach den zehn Tagen steht Jenny Hoves viereinhalb Stunden Stammzellenentnahme durch. Und das mit Erfolg: „Ich hatte so viele Stammzellen wie fünf Leute in Mexiko zusammen“, sagt sie. Danach folgen nochmal zwei starke Chemotherapien. Und die haben es in sich. Hoher Blutdruck, Übelkeit, Luftarmut. Ihr geht es nicht gut. Aber von Selbstmitleid keine Spur. „Anderen geht es während der Chemotherapie deutlich schlechter.“
Nach drei Tagen werden der 38-Jährigen die Stammzellen wieder eingesetzt. „Der 4. November ist mein Stammzellen-Geburtstag.“ Jetzt ist sie in der Neutropenie-Phase, die strenge Quarantäne erfordert.

Kampf gegen Krankheit
Dann der letzte Schritt: Eine Rituximab-Infusion soll die letzten schädlichen Zellen eliminieren, die von der Chemotherapie nicht erwischt wurden. Darauf hat Jenny Hoves eine allergische Reaktion. Auch die Infusion, die dem eigentlich entgegenwirken sollte, sorgt bei ihr für Nebenwirkungen. Bluthochdruck und Atemnot sind die Folge.
Den Ärzten stellt sich die Frage: Kann Jenny Hoves überhaupt ins Flugzeug nach Deutschland steigen? Für die Wessumerin ist klar: Etwas anderes kommt gar nicht infrage. Die Sehnsucht nach ihrem Sohn, nach dem Zuhause ist zu groß. Und so kämpft sich die 38-Jährige, wieder einmal, aus einer Klinik nach Hause. „Ich war noch nie so froh, Ahaus und Wessum zu sehen“, sagt sie und lacht.
Das Kämpfen hat sich gelohnt. „Ich kann ohne Rollator und ohne Gehstock laufen.“ Ihre Stimme überschlägt sich fast vor Freude. Neulich habe sie erst eineinhalb Kilometer zurückgelegt. Unglaublich. Wenige Wochen zuvor war der Weg von der Haustür zum Wohnzimmer eine Herausforderung.
Erfolg der Therapie
Ob die Therapie aber wirklich angeschlagen hat, wird sich erst in einem Jahr zeigen. Wenn die Schübe dauerhaft ausbleiben. „MS und Mogat sollen durch die Therapie quasi in einen tiefen Schlaf gelegt werden“, so erklärt es sich Jenny Hoves. Sie ist optimistisch. Auch wenn die kommenden 90 Tage in Quarantäne noch etwas von ihrer Kraft abverlangen werden.
Nach zwei lebensverändernden Diagnosen hat sich Jenny Hoves mit aller Kraft aus dem Rollstuhl gekämpft, um wieder ein normales Leben führen zu können. „Ich habe so viel Ehrgeiz, weil ich einfach Mama sein will.“ Im letzten Gespräch mit der Redaktion war ihr größter Wunsch, mit dem Vierjährigen wieder zum Spielplatz gehen zu können. Nicht mehr viel Übung und sie hat ihr Ziel erreicht. Doch zurücklehnen will sich die Wessumerin nicht. „Nächstes Jahr möchte ich mit meinem Kind Fahrrad fahren.“
Was bleibt, ist unglaubliche Freude. „Ich danke meiner Schwester für ihre Begleitung. Ich hätte mir niemand anderen wünschen können.“ Aber auch die Dankbarkeit für Familie, Freunde und Fremde, die ihr die Therapie in Mexiko ermöglicht haben, scheint unendlich. „Mein allergrößter Wunsch ist, dass ich zu den 86 Prozent gehöre, bei denen die Behandlung angeschlagen hat.“
