Tinnitus, Schwindel und Angst vor Hörverlust Selbsthilfegruppe macht Betroffenen Mut

Tinnitus, Schwindel, Hörverlust: Selbsthilfegruppe macht Mut
Lesezeit

Plötzlich dreht sich alles. Der Boden schwankt und die Ohren dröhnen. Auf den Schwindelanfall folgt Erbrechen. Dann versagt der Gleichgewichtssinn und es kommt zum Sturz. Für Jacqueline Gruner aus Ahaus ist das kein Einzelfall – es ist ein Teil ihres Lebens.

Seit 20 Jahren lebt sie mit Morbus Menière. Eine erblich bedingte Krankheit, die nach außen zwar unsichtbar ist – für die Betroffenen aber massive Beeinträchtigungen bedeutet. Die Symptome: Schwindel, Ohrgeräusche und Hörverlust.

Auf der Suche nach Menschen, die sie verstehen, gründet Jacqueline Gruner im Mai 2024 eine Selbsthilfegruppe. So trifft sie auf Menschen mit der gleichen Diagnose. Darunter Sandra Ahler aus Lünten. Nun fühlt sie sich etwas weniger allein, berichtet die Ahauserin.

Jacqueline Gruner und Sandra Ahler besuchen zusammen eine Selbsthilfegruppe in Ahaus.
Jacqueline Gruner bestellte einen Button, um auf ihre Schwerhörigkeit aufmerksam zu machen. Auf dem Anstecker steht: „Ich bin schwerhörig/gehörlos. Bitte schauen Sie mich beim Sprechen an.“ © Melina Arntzen

„Die Krankheit macht einsam“, erzählt auch ein weiteres Mitglied der Selbsthilfegruppe, welches aber anonym bleiben möchte. Die Einschnitte in den Alltag der Betroffenen sind massiv – sei es durch Schwindelanfälle im Alltag, Tinnitusgeräusche, die aus dem Schlaf reißen, oder Freizeitaktivitäten, die einfach nicht mehr möglich sind.

„Meine Kinder müssen viel zurückstecken“, sagt Jacqueline Gruner und auch Sandra Ahler stimmt nickend zu. Nicht nur die Kinder, auch der eigene Partner. Jacqueline Gruners Partner besucht gerne Konzerte, berichtet die 55-Jährige. Das sei für sie nur noch mit Gehörschutz möglich. Bei lauten Geräuschen komme es zu einer Hyperakusis, also einer akustischen Überempfindlichkeit. „Das führt zu einem Dröhnen“, so beschreibt es die Ahauserin. Selbst ein Gaststättenbesuch gestalte sich wegen der Geräuschkulisse ziemlich schwierig für die beiden Mütter.

Betroffene leiden unter Angst

Hinzu kommt die ständige Angst vor einem erneuten Anfall. „Ich habe eigentlich immer jemanden dabei und bin fast nie allein unterwegs“, sagt Sandra Ahler. Nach jedem Anfall gehe das Innenohr immer weiter kaputt, berichtet Jacqueline Gruner. So kommt zu der Angst vor einem Anfall noch eine weitere: die Angst vor dem vollständigen Hörverlust. Die beiden können schon jetzt nur noch auf einem Ohr hören, berichten sie.

„Die Frage bleibt: Trifft es auch noch das andere Ohr und wann ist es so weit?“, erzählt Jacqueline Gruner. Auf die Fragen haben auch die Ärzte keine Antwort. Hoffnung auf Heilung gebe es keine, so die Ahauserin. Sandra Ahler fügt hinzu: „Es gibt so gut wie keine Medikamente.“

Für nicht betroffene Menschen sei die Krankheit schwer nachzuvollziehen. Sie wollen nichts mit den Belastungen und Einschränkungen zu tun haben. „Manche Menschen ziehen sich zurück und wollen ihr Leben weiterleben“, so die Ahauserin.

Stärke durch Selbsthilfegruppe

„Was wir durchmachen, kann sich keiner richtig vorstellen“, sagt Jaqueline Gruner. Ihre Selbsthilfegruppe soll vor allem den Austausch zwischen Betroffenen ermöglichen. Die beiden Frauen haben bereits positive Veränderungen erlebt: „Es macht ein Stück weit selbstbewusster“, erzählt Sandra Ahler.

„Der eine kennt dies, der andere weiß jenes“, erklärt Jacqueline Gruner. „Man muss kämpfen und wissen, an wen man sich wenden kann.“ Dabei geht es beispielsweise um Themen wie Beantragung einer Pflegestufe oder eines Schwerbehindertenausweises. Auch über Hilfsmittel und Tipps im Alltag werde in der Gruppe gesprochen.

So konnten die beiden Mütter schon den einen oder anderen Tipp in ihren Alltag integrieren. Sandra Ahler trägt beim Einkaufen zum Beispiel ab sofort kleine Ohrstöpsel. Da sei ein Filter integriert, so sollen Umgebungsgeräusche gedämpft werden.

Eine Box, die Wellengeräusche im Schlaf spielt, hilft einem weiteren Gruppenmitglied beim Einschlafen. „Seit ich das Gerät nutze, habe ich nachts keinen Anfall mehr gehabt.“

Jacqueline Gruner schwärmt von einer Box, die beim Einschlafen helfen soll.
Diese kleine Box spuckt 36 verschiedene Töne aus und soll unter anderem beim Einschlafen helfen. Ein weiteres Gruppenmitglied konnte Jacqueline Gruner schon von dem Hilfsmittel überzeugen. © Jule Lamers

Jacqueline Gruner hat online für die Gruppe Buttons bestellt, mit dem Hinweis: „Ich bin schwerhörig/gehörlos. Bitte schauen Sie mich beim Sprechen an.“ Auf die Idee kam sie nur durch eine Gruppendiskussion. Dabei ging es darum, wie die Krankheit sichtbar gemacht werden kann. Den Button wollen sie nun häufiger tragen, wenn sie unterwegs sind, erklären die zwei. Die Hoffnung dahinter: Beim Sprechen direkt angeschaut zu werden, damit sie sich an den Lippenbewegungen ihres Gegenübers orientieren und das Gesagte so besser verstehen können.

Derzeit kommen neben Jacqueline Gruner und Sandra Ahler vier weitere Mitglieder zu den Treffen der Selbsthilfegruppe. Sie finden jeden ersten Dienstag im Monat um 19 Uhr in der Marktstraße 16 in Ahaus statt. Jacqueline Gruner und Sandra Ahler wünschen sich mehr Teilnehmer, da immer mal wieder jemand krank oder verhindert sei. „Vielleicht können wir von neuen Mitgliedern mehr lernen“, meint Jacqueline Gruner.

Die 55-Jährige betont, dass sie mit der Selbsthilfegruppe nicht nur Menschen mit ihrer Diagnose Morbus Menière ansprechen möchte. Die Gruppe soll für alle Menschen mit einer Ohrenerkrankung wie Tinnitus oder Schwerhörigkeit sein. Sandra Ahler ergänzt: „Es geht uns nicht nur darum, unser Leid zu teilen.“ Auch gemeinschaftliche Aktivitäten wie Kaffee trinken, Eis essen oder Grillen sollen in Zukunft hin und wieder organisiert werden, so die 45-Jährige.

Zum Thema

Selbsthilfegruppe für Tinnitus-Betroffene

  • Interessierte können sich bei Jacqueline Gruner (01788112625) melden.