Die Nachricht klingt bedrückend: Polizei und Stadt Ahaus hätten ihn aus seinem Zimmer vertrieben, schildert ein junger Mann an einem Januarmorgen gegenüber unserer Redaktion. Der gebürtige Ahauser ist wohnungslos und lebt seit einigen Wochen in der städtischen Obdachlosenunterkunft. Seinen Namen nennt er unserer Redaktion im Gespräch. Weil er in Ahaus noch Familie hat, möchte er ihn aber nicht in der Öffentlichkeit lesen.
Vor Ort schildert ein Ende 20-Jähriger, dass am Morgen Ordnungsamt und Polizei ihn aus seinem Zimmer geholt hätten. Ohne Bett. Nur die Matratze und eine Handvoll Kleidung seien ihm geblieben. Jetzt müsse er sich mit einem anderen Bewohner ein Zimmer teilen. Das sei viel zu klein und nicht sauber. Er spricht von Willkür. Seit vier Wochen lebt er in der Unterkunft.

Schon auf Nachfrage wird deutlich, dass die Wahrheit wohl doch eine etwas andere ist. Ja, mehrfach habe die Stadt ihn aufgefordert, in das andere Zimmer umzuziehen. „Aber warum sollen wir uns in ein Zimmer quetschen? Das andere steht doch frei“, sagt er und deutet in den größeren Raum.
Am Morgen rückte die Polizei dann mit an. „Ich sollte mein Bett ‘rübertragen“, erklärt der Mann. Das gehe nicht, weil er einen Bandscheibenvorfall habe. Das sei im Übrigen einer der Auslöser für Jobverlust und Wohnungslosigkeit gewesen. Seit zwei Jahren lebe er ohne eigene Wohnung, mal bei Freunden, mal bei der Familie. Jetzt sei er in der Unterkunft gestrandet. „Alles andere ging irgendwie nicht mehr“, sagt er.
Den Raum, in dem er bis zu jenem Morgen geschlafen hatte, hatten Mitarbeiter der Stadt kurz zuvor abgeschlossen. Jetzt steht die Tür weit offen. Am Türschloss ist das Türblatt gebrochen, hängt nur noch an einigen Fasern. Darauf angesprochen grinst er nur breit. Die Tür sei wohl von selbst so weit aufgesprungen. Das gebrochene Türblatt könne er auch nicht erklären.
Nur vage Vorgaben
Aber wie steht es eigentlich insgesamt um Unterkünfte für Obdachlose in Ahaus? „In Ahaus gibt es eine städtische und eine kirchliche Unterkunft für Obdachlose“, erklärt Stefan Hilbring von der Pressestelle der Stadt auf Nachfrage. In der städtischen Unterkunft gibt es aktuell 16 Schlafplätze, die zu 75 Prozent belegt sind. Die kirchliche Einrichtung sei komplett ausgelastet.
Rechtliche Vorgaben für Obdachlosenunterkünfte sind weit gefasst: „Der Unterbringungsanspruch eines Obdachlosen ist grundsätzlich auf die Unterbringung in einer menschenwürdigen Unterkunft gerichtet, die Schutz vor den Unbilden der Witterung bietet, sowie Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lässt. Dabei müssen Obdachlose im Verhältnis zur Versorgung mit einer Wohnung weitgehende Einschränkungen hinnehmen. Insbesondere ist Einzelpersonen grundsätzlich auch eine Unterbringung in Sammelunterkünften mit Schlaf- und Tagesräumen für mehrere Personen zumutbar. Nur in Ausnahmefällen kann bei Vorliegen besonderer Einzelfallumstände ein Anspruch auf Versorgung mit einem Raum, der dem Betreffenden für sich allein zur Verfügung steht, bestehen“, urteilte das Oberverwaltungsgericht 2020. Darauf nimmt das NRW-Sozialministerium in seinen Empfehlungen für Obdachlosenunterkünfte Bezug.
Ständige Sachbeschädigung
Planungen sind schwierig: Einerseits, weil auch immer mal von außerhalb neue Obdachlose in die Stadt kommen und ad hoc eine Unterkunft benötigen. Andererseits, weil unklar ist, wie lange Obdachlose überhaupt in einer Unterkunft bleiben: Von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Jahren reiche die Spanne, erklärt Stefan Hilbring.
Einen Hausmeister gibt es nicht für die Notunterkunft. Außendienstmitarbeiter des Fachbereichs Sicherheit und Ordnung sind täglich vor Ort und schauen nach dem Rechten. Und praktisch täglich würden sie dabei Beschädigungen oder Verschmutzungen registrieren.
Mobiliar werde beschädigt oder verschwinde. Stefan Hilbring nennt ein Beispiel: „Im Zimmer wird ein Grill unterhalb der Rauchmelder aufgestellt, sodass dieser Alarm schlägt. Dann wird der Rauchmelder von der Decke geschlagen“, macht er deutlich. Auch eingetretene Zimmertüren oder zerstörtes Küchenmobiliar seien üblich. Doch dabei bleibt es nicht.
Im Schnitt zwei- bis dreimal pro Woche sei die Polizei an der Notunterkunft im Einsatz. Weil es häufig auch zu Auseinandersetzungen der Bewohner untereinander komme. Bewohner bezichtigen sich gegenseitig des Diebstahls, es komme zu Drogen- und Alkoholmissbrauch.
Der Mitbewohner des Ahausers nickt. Schlimme Zustände seien das. Seit über einem Jahr lebt er in der Unterkunft. Er stamme ursprünglich aus Baden-Württemberg. Nach einer mehrjährigen Haftstrafe sei er schließlich in der Ahauser Unterkunft gelandet. Natürlich sei er bereit, die Räume „hygienisch ok“ zu halten. Dass er Putzmittel dafür selbst kaufen soll, regt ihn allerdings sichtbar auf.
Überhaupt solle sich die Stadt mehr kümmern, als immer nur zu kontrollieren oder zu verlangen. Die beiden Bewohner wollen dringend heraus aus der Unterkunft. Eine Perspektive dafür sehen sie aktuell allerdings nicht. Nur viele Probleme.