Burkhard Helling und Felix Ruwe über 30 Jahre Widerstand „Als wären wir Verbrecher“

Burkhard Helling und Felix Ruwe kämpfen seit 30 Jahren
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Hundertschaften, berittene Polizeikräfte, Einschüchterungsversuche. „Man hat immer wieder versucht, uns zu kriminalisieren“, Burkhard Helling erinnert sich. „Das hat nie geklappt“, er lacht.

Schon beim ersten Sonntagsspaziergang am 18. Dezember 1994 war er dabei. „Um deutlich zu machen, dass wir gegen Atomkraft sind, gegen das Zwischenlager und gegen den Bau der zweiten Lagerhalle.“

Über 300 Mal haben sich seitdem Menschen getroffen, die ein Zeichen gegen Atomkraft in Ahaus gesetzt haben. Und mindestens 250 Mal war Burkhard Helling dabei. „Manchmal waren wir 30 Leute und manchmal über 3000.“

Blick in die Vergangenheit

Die heutige Sofa (Sofortiger Atomausstieg) Münster hat den Stein ins Rollen gebracht. Dass die BI „Kein Atommüll in Ahaus“ teilnimmt, war sofort klar. Der dritte Sonntag im Dezember galt schnell den Protestaktionen.

Erst am Montag (9. Dezember) waren Mitglieder der BI über die eher maue Teilnahme an der Mahnwache enttäuscht. Burkhard Helling fürchtet, dass es beim Sonntagsspaziergang am Sonntag (15. Dezember) nicht anders aussehen wird. Besonders schade, weil die Protestform 30-jähriges Bestehen feiert. Aber er kennt auch andere Zeiten:

Burkhard Helling hält ein Foto aus dem Jahr 1996 in der Hand. Darauf ist er im Gespräch mit einem Polizisten zu sehen. Im Hintergrund eine nachgebaute Attrappe eines Castors. Um ihn herum Menschenmengen.

Zwischen damals und heute liegen Geschichten: von Aktionen am BZA, rund um den „Mahner“, am Rathaus und dem Ahauser Bahnhof.

„Das eine Mal, als ein Trecker mit Anhänger und Plane vorgefahren ist und voll mit Steinen beladen war“, sagt der 72-Jährige. „Und ruckzuck wurde eine Mauer an den Gleisen am BZA gezogen. Symbolisch natürlich“, er lacht. „Oder als wir uns im Nebel verlaufen haben und plötzlich über die Gleise gelaufen sind.“ Oder, als aus Strohballen eine Wand vor dem BZA gebaut wurde.

Einmal seien die Gleise in der Nacht vor dem Sonntagsspaziergang sogar mit Schuhen beklebt worden. „Wir wissen bis heute nicht, wer das war.“ Schließlich habe die Initiative immer streng darauf geachtet, dass nichts beschädigt und niemand verletzt wird. „Das oberste Gesetz.“

„Die Kinder hatten Angst“

Die Ereignisse der letzten 30 Jahre sind bei den Ahausern lebendig. „Es war immer rattenkalt. Windig und kalt“, sagt Felix Ruwe, der auch von Beginn an dabei ist. Das alles hat die Beiden nie von ihrem Kampf abhalten können. „Manchmal waren wir traurig, wenn nur 30 Leute kamen, und manchmal haben wir gestrahlt, wenn 1000 kamen“, erinnert sich Burkhard Helling.

In dieser Zeit sind Freundschaften entstanden. BI und Sonntagsspaziergänge galten als fester Bestandteil des Familienlebens. Fanden zu Hochzeiten jeden Monat statt. Zogen Initiativen aus dem ganzen Münsterland an. „Die Wochenenden galten dann den Demonstrationen.“ Dass die Kinder mit zu den Protesten kommen, war eigentlich klar. „Einmal haben wir auch Bescherung und Weihnachtsbaumaufstellen am BZA gemacht.“

Das war nicht immer leicht. „Als dann die Hundertschaft und die berittenen Polizisten kamen, war das ganz bedrohlich. Als wären wir Verbrecher“, sagt Burkhard Helling. „Die Kinder hatten Angst.“

Man habe versucht, die Familien von den Protesten fernzuhalten. „Das ist ihnen nicht gelungen.“ Im Gegenteil.

Ziele der Sonntagsspaziergänge

All die Jahre hatte Burkhard Helling die Hoffnung, dass das BZA kein endloses Lager wird. „Aber uns war bewusst, dass es eines bleibt.“ Umso wichtiger, immer wieder Zeichen zu setzen. Flagge zu zeigen.

Auch, wenn das Spuren im Privatleben des 72-Jährigen hinterlassen hat. Burkhard Helling blickt auf Drohungen zurück. Rechtliche und berufliche Konsequenzen, die angedeutet wurden. Alles ohne Erfolg. „Schmierenrtheater, was die teilweise versucht haben, um uns in die Schranken zu weisen“, er winkt ab.

Klar, das alles hat ihn nicht kalt gelassen. Genauso wenig wie das scheinbar sinkende Interesse der Ahauser an dem Widerstand. Es sei frustrierend, dass sich nicht mehr Menschen in Ahaus engagieren und wehren würden. Seit dem Atomausstieg sei die Sache für viele erledigt. „Aber die sehen nicht, was da auf Ahaus zukommt.“

Kein Ende in Sicht

Viel präsenter als dieser Frust sind allerdings die Erinnerungen an große Aktionen der letzten 30 Jahre. Burkhard Helling und Felix Ruwe blicken auf einige Meilensteine zurück. „Wir haben den Bau der zweiten Lagerhalle und weitere Transporte verhindert“, sagt Burkhard Helling. Darauf sind die Ahauser stolz.

Karikatur BI "Kein Atommüll in Ahaus"
Für die beiden Ahauser Burkhard Helling und Felix Ruwe ist klar: Egal wie alt sie sind, es wird weiter gegen Atomkraft in Ahaus gekämpft. Im Scherz sagen sie immer, dass irgendwann alle mit einem Rollator zum Protest erscheinen. © HSB-Cartoon

„Es freut einen schon, dass man so lange durchgehalten hat und so vieles erreicht hat.“ Gleichermaßen spiegelt sich wieder Enttäuschung im Blick des 72-Jährigen. „Wenn man sich dann die Gerichtsurteile anguckt und denkt, da passiert gar nichts.“ Auch mit Blick auf das kürzlich gefällte Urteil vor dem Oberverwaltungsgericht. Aber den Gedanken schiebt der Ahauser schnell wieder beiseite.

Für sie ist klar, dass der Kampf weitergeht. Auch, wenn sie älter werden. „Der Hauptwiderstand befindet sich jetzt in den 70ern“, scherzt der 72-Jährige. „Irgendwann kommen wir alle mit Rollatoren zu den Sonntagsspaziergängen“, er lacht.

Widerstand sei die einzige Chance. Oft heißt es jetzt noch bei Burkhard Helling Zuhause: ‚Wo ist Papa?‘ ‚Im BI-Büro‘, ist dann die Antwort. „Aber es muss sein. Es geht nicht anders.“

Burkhard Helling bei einem Sonntagsspaziergang 1996 vor einem nachgebauten Castor
Seit Beginn der Sonntagsspaziergänge sind Burkhard Helling und Felix Ruwe dabei. Die Ahauser werden nicht müde, ein Zeichen gegen Atomkraft in Ahaus zu setzen. Dieses Bild stammt aus 1996, zwei Jahre nach dem ersten Sonntagsspaziergang. © Privat