25 Jahre Castortransport Als Ahaus zum Brennpunkt der Anti-Atomkraft-Bewegung wurde

25 Jahre Castortransport: Als Ahaus zum Brennpunkt der Anti-Atomkraft-Bewegung wurde
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20. März 1998. Tag X in Ahaus. Zehntausend Demonstranten treffen in der Stadt auf mehrere zehntausend Polizisten. Die einen wollen den Castortransport ins Brennelementezwischenlager verhindern, die anderen wollen genau das durchsetzen. Die Stadt ist im Ausnahmezustand.

Einer der Demonstranten damals ist Mathias Engels. Der heute 63-Jährige gehörte vor 25 Jahren zu der Gruppe, die von der Polizei auf dem Bahnübergang an der Schorlemer Straße eingekesselt wurde. „Das war eine ganz friedliche und gewaltlose Demonstration“, sagt der Inhaber der Goldschmiede Engels in der Ahauser Innenstadt.

Allerdings habe auch er gesehen, wie unterschiedliche Polizisten aus unterschiedlichen Bundesländern sehr unterschiedlich gegen Demonstranten vorgegangen seien. Die Hundertschaft aus Berlin beispielsweise sei – nun ja – schon sehr ruppig unterwegs gewesen.

Er jedenfalls habe sich erst einer Demonstration auf der Schorlemer Straße angeschlossen. Als junger Familienvater und Mitglied der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ wollte er ganz einfach etwas tun. Aus der Menge heraus habe sich dann spontan die Idee entwickelt, die Gleise zu besetzen. „Und da haben wir uns dann hingesetzt“, sagt er heute.

Hermann Lenting (55) hat sich längst an den Anblick des Zwischenlagers in der Nachbarschaft gewöhnt. Im Alltag sehe er das schon gar nicht mehr. Angst vor dem strahlenden Abfall hat er nicht.  Dennoch tut er alles, um das Lager loszuwerden.
Hermann Lenting (55) hat sich längst an den Anblick des Zwischenlagers in der Nachbarschaft gewöhnt. Im Alltag sehe er das schon gar nicht mehr. Angst vor dem strahlenden Abfall hat er nicht. Dennoch tut er alles, um das Lager loszuwerden. © Stephan Rape

Nach und nach habe die Polizei die Sitzblockade dann komplett eingekesselt. „Das haben wir erst gar nicht gemerkt“, gibt er zu. Auch die Aufforderungen der Polizei, den Bahnübergang zu räumen, ignorierten sie. Bis dann die Polizei durchgriff und die Demonstranten erst wegtrug und dann festsetzte.

Mathias Engels landete mit etlichen anderen in einem Gefangenentransporter und wurde ins Polizeigewahrsam nach Münster gebracht. „Wir sind genau in dem Moment in Ahaus losgefahren, als die Toten Hosen auf dem Lastwagen angefangen haben zu spielen“, sagt er und muss grinsen. Darüber habe sich ein weiterer Demonstrant im Bus – und offensichtlich ein Fan der Punkband aus Düsseldorf – noch riesig geärgert.

Über Nacht im Vorsorgegewahrsam

Erst am nächsten Morgen wurde er wieder freigelassen. Zusammen mit den anderen Demonstranten. „Vorsorgegewahrsam hieß das damals“, sagt er.

Eine Aktion, für die er heute im Freundeskreis immer noch aufgezogen werde. „Natürlich war das keine heldenhafte Sache“, sagt er. Aber er habe sich gewehrt. Darum sei es ihm immer gegangen.

„Es geht mir als Ahauser immer noch gegen den Strich, dass wir die Müllkippe für den Atommüll in Deutschland sein sollen“, sagt er. Dabei geht es ihm nicht um die Frage, ob der Müll in Ahaus oder woanders gelagert werden soll: „Er muss ja irgendwo hin“, erklärt er.

Während dieser Polizeibeamte einer Hundertschaft aus Bremen offenbar recht pfleglich mit Demonstranten umging, gab es in Ahaus auch andere Bilder.
Während dieser Polizeibeamte einer Hundertschaft aus Bremen offenbar recht pfleglich mit Demonstranten umging, gab es in Ahaus auch andere Bilder. © picture-alliance / dpa

Und natürlich habe Ahaus mit dem Zwischenlager auch eine Menge Geld bekommen. „Trotzdem bleibt das großer Mist“, sagt er. Er regt sich darüber auf, dass es keine Technologie gibt, wie man mit dem Müll umgehen kann. „Wir hinterlassen den einfach den nächsten Generationen“, sagt er. Natürlich habe er Zuversicht in die Forschung und in die Sicherheit der Behälter. Dennoch sei das bisher einfach keine Lösung.

Er ist sich sicher, dass der Protest weitergehen wird. Keine Generation sei so politisch wie die aktuelle junge Generation. „Das Bewusstsein für das Problem wird nicht versiegen“, da ist er sich sicher.

Ein paar Kilometer weiter erlebte Hermann Lenting die Demonstrationen an der Lagerhalle aus nächster Nähe. Der heute 55-jährige Landwirt aus Ammeln deutet auf die Ackerfläche zwischen seinem Hof und dem Zwischenlager: „Genau dort haben sie damals kurz vor dem Transport noch den Zaun gezogen“, sagt er.

Zum Hof nur per Passierschein

Nur noch mit Passierschein sei man in die gesperrte Zone direkt am Lager – und damit auf seinen Hof – gelangt. „Aber das hat vorne und hinten nicht funktioniert“, erinnert er sich. Der Fahrer des Milchlasters beispielsweise sei nicht bis zum Bauernhof durchgekommen.

Die große Demonstration ist für Familie Lenting nur die Spitze des Eisbergs: „Das ging ja schon zur Flurbereinigung los, als das Grundstück für das Zwischenlager ausgesucht wurde“, sagt er. Ab da habe sein Vater, Hermann Lenting senior, versucht, sich dagegen zu wehren. „Von Anfang an“, sagt er. Das Lager kam trotzdem. Sein Vater ist vor fünf Jahren gestorben und auch er werde wohl nicht erleben, dass der Atommüll aus Ahaus wieder abgeholt wird. „Meine Kinder vielleicht“, sagt er.

Jede Möglichkeit muss genutzt werden

Deswegen müsse es in den Köpfen der Menschen bleiben, was vor den Toren der Stadt in der Halle steht. Dass man nicht ständig große Demos organisieren könne, sei klar. Gerade wenn kein Transport anstehe, sei das ja schwierig. „Aber wenn es die Möglichkeit gibt, etwas zu verändern, muss man das versuchen“, sagt er. Gerade erst im vergangenen Jahr hat er sich an einer Klage gegen weitere Transporte und die Verlängerung der Lagerung in Ahaus beteiligt.

Er sagt aber auch, dass es besser sei, die Behälter mit Atommüll sicher stehen zu haben, als sie zigfach durch die Gegend zu transportieren. Die Halle steht in Sichtweite zu seinem Hof, auf dem er mit seinem Sohn eine Rindermast mit gut 500 Stück Vieh betreibt. Bis ins 16. Jahrhundert lasse sich seine Familie an dieser Stelle zurückverfolgen.

Hermann Lenting senior (†) hatte von Anfang an gegen das Zwischenlager gekämpft. Der Landwirt ist vor fünf Jahren gestorben. Sein Sohn Hermann Lenting führt den Kampf fort, geht aber nicht davon aus, dass er den Abtransport der Castoren noch erleben wird.
Hermann Lenting senior (†) hatte von Anfang an gegen das Zwischenlager gekämpft. Der Landwirt ist vor fünf Jahren gestorben. Sein Sohn Hermann Lenting führt den Kampf fort, geht aber nicht davon aus, dass er den Abtransport der Castoren noch erleben wird. © picture-alliance / dpa

Natürlich komme es nicht in Frage, hier wegzugehen. Angst habe er vor dem Lager nicht. „Die Transportbehälter sind wohl sicher“, sagt er. Bis ins Detail habe er sich mit der Technik und den Plänen aber nicht beschäftigt. Klar ist ihm nur, dass er so lange in direkter Nachbarschaft zum Atommüll leben wird, bis es ein Endlager gibt.

Ob weiteres Material – zum Beispiel aus Jülich – nach Ahaus kommt, mag er nicht abschätzen. Klar ist ihm aber auch, dass es wohl wieder große Demonstrationen geben wird, wenn ein Transport ansteht.

Vor 25 Jahren verzögern die Demonstranten den Transport in Ahauser Lager um einige Stunden. Erst am Abend gelangen die Waggons auf das Gelände des Zwischenlagers. Die Castoren stehen 25 Jahre später praktisch unverändert in der Lagerhalle. Weitere kamen aus dem Forschungsreaktor Dresden-Rossendorf.

Klare Erfolge für die BI

Dass es nicht noch mehr wurden, wertet die Bürgerinitiative ganz klar als Erfolg. Auch die Umwidmung eines Teils der bestehenden Halle in ein Lager für schwach- und mittelradioaktiven Müll und die Aufgabe der Pläne, weitere Hallen zu bauen, seien Erfolge des Widerstands gewesen. Deshalb wird die Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ auch weiterhin Widerstand leisten, kündigt deren Sprecher Hartmut Liebermann an. Dabei benötige sie die Unterstützung der Bevölkerung.

Frühestens Ende 2023 könnte es erste Genehmigungen für neue Transporte geben. Das sagt zumindest Dr. David Knollmann, der bei der Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ), für die Standortkommunikation rund um das Zwischenlager Ahaus zuständig ist. Er bemüht sich um Offenheit. Will die Beteiligung der Öffentlichkeit in den kommenden Jahren weiter verstärken. „Wir haben nichts zu verbergen“, sagt er.

Auch er geht davon aus, dass der Atommüll selbst bei den optimistischsten Schätzungen noch 70 Jahre oder länger in Ahaus lagern wird. Deutlich länger als die ursprünglich genehmigte Zeit bis 2036. Rund acht Jahre vorher werde es wohl ein komplett neues Genehmigungsverfahren für das Zwischenlager geben. Was die längere Zwischenlagerung mit den Castorbehältern macht, wird gerade erforscht.

Frühschicht für Unternehmer: Atommüll bleibt noch lange in Ahauser Zwischenlager

Atommüll bleibt bis ins nächste Jahrhundert in Ahaus: BI befürchtet weitere Probleme

BZA und Co.: Ahaus im Bildarchiv der Deutschen Presse Agentur