Sieben Waldbrände und eine versuchte Brandstiftung gehen auf das Konto eines heute 23-Jährigen. Seine Erklärung vor Gericht ließ selbst die erfahrenen Juristen schlucken. Sie zeichnete ein Bild von schwierigen Familienverhältnissen.
Zum bisher letzten Mal hatte er im Juni 2023 Feuer gelegt. Damals hatte er in der Bauerschaft Quantwick in einem Waldstück das Unterholz in Brand gesteckt. Auf rund 30 Quadratmeter hatten sich die Flammen ausgeweitet, bevor die Feuerwehr den Brand löschen konnte. Zeugen hatten sie alarmiert – und später auch der Polizei Hinweise auf den Verdächtigen genannt.

Schon bei der Vernehmung bei der Polizei räumte der junge Mann damals die Tat ein – und gab auch weitere Taten zu. Das tat er jetzt auch vor dem Jugendschöffengericht. Zwischen April 2020 und Mai 2023 hat der Mann sechsmal in oder um Velen und Ramsdorf und zweimal in der Nähe von Ahaus den Wald angezündet. Mal brannte es nur auf einem relativ überschaubaren Gebiet, mal verbrannten 4000 Quadratmeter Unterholz, einmal ging das Feuer direkt wieder aus.
Die Taten selbst waren also unstrittig. Der Hintergrund sorgte bei Richter und Schöffen aber für Stirnrunzeln. „Was haben Sie sich dabei gedacht?“, wollte der Richter wissen.
Der 23-Jährige nickte erst still, setzte dann an: Als Azubi habe er größere Projekte betreuen müssen, die ihm schlicht über den Kopf gewachsen seien. Er habe weder von seinem Betrieb noch seinen Eltern Unterstützung erhalten. Und habe dann nach Auswegen gesucht, um seinen Stress abzubauen. „Das Knistern des Feuers war dann wie eine Erlösung“, erklärte er. Sobald die Flammen um sich griffen, habe er sich besser gefühlt – und dann auch direkt die Feuerwehr gerufen.
Die bekamen dann aber wegen der teils extrem trockenen Witterung dennoch große Probleme, die Flammen wieder zu löschen. Auch dieser Stress, den er bei den Feuerwehrleuten im Einsatz beobachten konnte, habe sich für ihn gut angefühlt, machte er Richter und Schöffen deutlich. „Insgesamt schwierig zu erklären“, räumte er ein.
Über Konsequenzen habe er nie nachgedacht. Auch nicht darüber, dass er ja immer wieder an der Einsatzstelle gesehen wurde und dann automatisch der Verdacht auf ihn fallen müsste.
Schwierige Familienverhältnisse
Seine Verteidigerin ergänzte: Sie sprach über sehr schwierige Familienverhältnisse, fehlenden Rückhalt bei den Eltern, seine Entwicklungsverzögerung, den Auszug von Zuhause und erste Schritte in die Selbstständigkeit. Er sei immer das schwarze Schaf in der Familie gewesen, habe in der Schule Probleme mit Mobbing gehabt. Hilfe habe er kaum bekommen. Der Familie sei es weniger um ihn als nur um ihr Ansehen bei der Nachbarschaft gegangen. „In der Familie ist viel im Argen, was wir alle nicht wissen“, machte sie deutlich. In der Familie sei nie Entspannung. Weitere detaillierte Schilderungen folgten nach Rücksprache mit ihrem Mandanten. Die hatte der 23-Jährige so bisher immer verschweigen wollen.
Auch sonst habe sich der 23-Jährige verändert, seit er sich im vergangenen Jahr an sie gewandt habe: „Er sieht jetzt ein, dass es falsch und gefährlich war, was er getan hat.“ Auch habe er versucht, sich Hilfe zu suchen. Einen Therapieplatz habe er aber noch nicht bekommen, weil allein die Wartelisten so lang sind.
Durch den Auszug von Zuhause und den Umzug nach Ahaus sowie den Wechsel der Arbeitsstelle habe sich aber schon viel verbessert. Er könne jetzt niedrigschwelliger arbeiten, gerate längst nicht mehr so unter Stress. Seine Tage verbringt er mit Arbeit und Sport, könne sich so gut ablenken.
„Das Leben ist häufig komplexer, als es die Akten hergeben“, zog schließlich der Richter ein erstes Resümee nach dem Ende der Beweisaufnahme. Das griff die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer auf: „Nach Aktenlage hättest du ins Gefängnis gemusst“, sagte sie und sprach den 23-Jährigen damit direkt an. In jedem Fall komme Jugendstrafrecht zur Anwendung. Sie hielt ihm zugute, dass er gestanden habe und sich um eine Therapie bemühe. Gleichzeitig betonte sie aber die Schwere der Schuld. Und die große Gefahr, die von den Brandstiftungen ausgegangen war. „Dir wurde von deinen Eltern das Handwerkszeug zur Stressbewältigung nicht mitgegeben“, sagte sie. Das müsse eine Langzeittherapie nachholen. Sie forderte eine Jugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten sowie eine Geldbuße von zwei Monatsgehältern.
Gefährliches Pulverfass
Dabei wies sie auf ihren eigenen Zwiespalt hin: „Wir haben hier quasi ein Pulverfass“, machte sie deutlich. Jederzeit könne der Stress wieder zu neuen Taten führen. Dem gegenüber stünden die enormen Therapiebemühungen.
Selbst die Verteidigerin mochte da nichts mehr hinzufügen. „Was soll ich noch sagen?“, stellte sie in den Raum. Auch sie schärfte ihrem Klienten noch einmal ein, dass sein Verhalten ganz schnell andere Folgen haben könnte. „Er ist eigentlich froh, dass er erwischt wurde“, machte sie deutlich.
Nach kurzer Beratung dann das Urteil: Der 23-Jährige bekam wie von der Staatsanwaltschaft gefordert ein Jahr und acht Monate Jugendstrafe, die aber auf Bewährung ausgesetzt wurde. Bis er einen Therapieplatz hat, muss er einmal monatlich Entlastungsgespräche mit dem sozial-psychiatrischen Dienst im Kreis Borken führen. Außerdem muss er eine Geldbuße von 2000 Euro zahlen.
„Sie haben dieses Verhalten als 19-/20-Jähriger entwickelt und später fortgesetzt“, machte der Richter in seiner Begründung deutlich. „Sie sind der Schuldige“, fügte er hinzu. Das sei unstrittig. Doch die Ursachen dafür seien komplexer. Sie lägen in der Familie und der Ausbildung mit begründet. „Wir rechtfertigen das hier nicht alles mit der ‚schweren Kindheit‘“, sagte er. Dennoch dürfe man das nicht außer Acht lassen. Eindringlich warnte er den 23-Jährigen davor, die Taten zu wiederholen. „Suchen Sie sich Hilfe“, gab er ihm zum Schluss mit auf den Weg.